Das Drängen auf ein deutsches Ja zu „Euro-Bonds“ wird stärker

Geopolitische Kapitalwünsche

Am Donnerstagabend vergangener Woche einigten sich die Finanzminister der Euro-Gruppe innerhalb von etwa 40 Minuten in einer Videokonferenz auf „Hilfen“ für Mitgliedstaaten in Höhe von etwa 540 Milliarden Euro. Zuvor raunte die Bürgerpresse vom Zerfall der EU, wenn es keine Corona-Bonds, gemeinschaftliche Haftung für Staatsschulden, geben werde.

In Wirklichkeit hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits zuvor signalisiert: Deutschland werde bei einem „Wiederbelebungsprogramm“ für Industrie und Banken der EU „seinen Beitrag“ leisten. Euro-Gruppen-Chef Mário Centeno, Portugals Finanzminister, erläuterte entsprechend, neben drei „Netzen“ zur Absicherung von Mitgliedstaaten werde nun an einem „Wiederbelebungsfonds“ gearbeitet. Für den seien auch „innovative Finanzinstrumente“ vorgesehen. Die Wirtschaftsblätter interpretierten das als eine Formel dafür, dass über die von neun Ländern mit Frankreich, Italien und Spanien an der Spitze geforderten Gemeinschaftsanleihen weitergesprochen werde. Am 23. April soll das Thema auf der Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels stehen.

Es geht dabei in der Tat um eine weitreichende politische Entscheidung: Stärkt der deutsche Imperialismus seine Vormachtstellung in der EU oder nicht? Berlin, das ebenso wie 2008 erklärt hat, die Bundesrepublik werde auch aus dieser Krise „gestärkt“ hervorgehen, hat dabei offenbar vor allem zwei Faktoren zu berücksichtigen: Zum einen war und ist der EU-Binnenmarkt das Feld, auf dem deutsche Monopole ihre Position auf dem Weltmarkt erkämpft haben. Das gilt es zu verteidigen und auszubauen. Ein Beispiel ist VW. In der „FAZ“ verkündete am 10. April VW-Vorstand Stefan Sommer, China sei zwar kein Modell für einen Neustart der Industrieproduktion, aber „eine Art Blaupause“. Konkret: „In der hochvernetzten Autoindustrie kann Europa nur gemeinsam wieder starten und langfristig bestehen.“ Sommer deutete mit einigen Zahlen an, um was es allein für seinen Konzern geht: „Wir beziehen für die Produktion in unseren europäischen Werken ungefähr aus 8.000 Produktionsstandorten in Europa Teile für alle unsere Autos.“ Das seien fast 600.000 Teilenummern, von denen etwa 35 Prozent aus der Bundesrepublik, 12 Prozent aus Tschechien, 8 Prozent aus Polen und jeweils 6 Prozent aus Italien und Spanien kämen.

Da mögen sich einige EU-Mitgliedstaaten nach außen abgeschottet haben, für VW-Anlieferungen sind die Grenzen ebenso durchlässig wie für Erntehelfer auf deutschen Spargelfeldern. Nationalstaatliche Grenzen sind fürs Monopolkapital kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln.

Hinweise auf den zweiten wichtigen Entscheidungsfaktor über gemeinschaftliche Bonds kamen in der vergangenen Woche aus nur scheinbar verschiedenen Ecken: Vom Milliardär Reinhard Würth und vom Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck. Der Schraubenunternehmer plädierte im „Handelsblatt“ für Euro-Bonds, und zwar in zehnfacher Höhe dessen, was am selben Tag von der Euro-Gruppe beschlossen werden sollte: Fünf Billionen Euro seien eher angebracht. Für Würth steht fest: Die Verweigerung solcher Bonds und weiterer Vorschläge Emmanuel Macrons durch Berlin sei „geopolitisch ein Desaster“: „Wenn wir nicht ganz schnell begreifen, dass wir die EU zu einem Bundesstaat machen müssen, dann werden wir zerrieben zwischen Russland, China und den USA.“ Für „Frieden und Freiheit in Europa“ könnten „wir“ auch die Haftung für Schulden Italiens oder anderer Nehmerländer übernehmen. Bereits am 6. April hatte Habeck im „Spiegel“ fast wortgleich davor gewarnt, ohne gemeinschaftliche Anleihen verspiele „Europa die Chance, an geopolitischem Einfluss zu gewinnen“. Wer hier „Europa“ durch „Bundesrepublik“ ersetzt, erfasst das Wesen der Sache.

Habeck nimmt vorweg, was Leitlinie fürs Regierungspersonal ist. Es muss dem Kind „Euro-Bonds“ nur noch einen Namen geben.

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"Geopolitische Kapitalwünsche", UZ vom 17. April 2020



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