Große Krise 2.0?

Von Klaus Wagener

In der Börsenwelt geht es seit einiger Zeit nicht gerade nach oben. Der Dax ist von seinem Jahreshoch von 13 596 Punkten vom 22. Januar 2018 auf aktuell 10 865 gefallen. Der von den Trumpschen Steuersenkungen beflügelte Dow Jones markierte noch im Oktober sein stolzes Jahreshoch von 26 951, um nun um fast 3 000 Punkte abzustürzen. Spektakulär ist der Absturz des Bitcoin.

Jahrelang tönte es aus den neoliberalen Kartell-Medien und -Parteien: Die Krise ist überwunden, die Wirtschaft brummt, es gibt Fachkräftemangel, die Banken sind nun sicher.

Das große Gelddrucken

Die Federal Reserve der USA, die Europäische Zentralbank, die Bank of England und die Bank of Japan haben mit ihren Gelddruckprogrammen für reichlich Fallhöhe gesorgt. Die globalen Vermögen sind auf 280 Bio. Dollar geradezu explodiert. Aber die Asset-Inflation hat mitnichten zu einer Lohninflation geführt. Für das untere Drittel der Gesellschaft entpuppte es sich als reine Legende, dass es mit dem gigantischen Gelddrucken darum ginge, die Realökonomie anzukurbeln. Ein nennenswerter Aufschwung der Realökonomie fand, trotz aller Sonntagsreden nicht statt. Dafür nahm die Verschuldung in ungeahntem Ausmaß zu. Nach aktuellen IWF-Daten liegt die globale Gesamtverschuldung (Staat, Industrie, Privat) bei 184 Bio. Dollar oder 225 Prozent der globalen Wirtschaftskraft. Die Verschuldung wird bleiben. Die Nullzinspolitik nicht. Hier hat sich eine Verschuldungsblase aufgebaut, welche die von 2008 ff. weit in den Schatten stellt.

Die Krise in neoliberalen Zeiten

In der Frühphase des Konkurrenzkapitalismus fand in Krisen ein Ausgleich der durch die kapitalistische Produktionsweise periodisch entstehenden Ungleichgewichte statt. Waren, nicht absetzbare Überproduktionen wurden vernichtet, Betriebe gingen Pleite, Kapital wurde wertlos, die Konzentration des Kapitals nahm zu.

Mit dem Sieg der neoliberalen Gegenreformation Anfang der 1980er Jahre ging auch die Krisenproduktion eines zunehmend ungehemmt agierenden Kapitalismus in vollem Umfang zurück, diesmal allerdings auf globaler Ebene. Das toxische Paket aus Steuersenkung, Privatisierung, Prekarisierung, Hochrüstung und Staatsverschuldung verursachte obszönen Reichtum und großflächige Armut. Zusammen mit einer De-Industrialisierung, dem Export ganzer Industriesektoren im Rahmen der „Globalisierung“, brach die breite einkommensgestützte Mittelstands-Nachfrage weg. Dieser Verlust sollte aufgefangen werden durch ein massives öffentliches und privates Kreditwachstum und, wo irgend möglich, eine Ausweitung des Exports. 2007 brach die gigantische Finanzspekulation, die vielen ein sorgloses „Weiter so!“ suggeriert hatte, zusammen. Doch die früher angebliche reinigende Wirkung der Krise wurde verhindert. Der Großteil der Banken, welche nur aufgrund ihrer Spekulationsgeschäfte „too big to fail“ geworden waren, wurden und werden weiter gerettet. Die Krisenlasten wurden monetarisiert und/oder auf die arbeitenden Menschen umgelegt.

„ … wenn das Blut durch die Straßen fließt“

Es ist eine Lage, die Gewinner und Verlierer kennt. Das Merkel-Diktum, „Wir wollen gestärkt aus dieser Krise hervorgehen!“, wurde getreu dem alten Rothschild-Motto, „Investiere, wenn das Blut durch die Straßen fließt“, durch die deutsche Exportwirtschaft durchaus realisiert. Die deutschen Monopole profitieren zusätzlich vom Euro und der Misere der Euro-Peripherie. Der Euro ist für die meisten Euro-Staaten zu stark, um konkurrenzfähig zu bleiben und für Deutschland so schwach, dass es mit seiner Exportwalze Europa und viele Ökonomien weltweit dominieren kann.

Natürlich weiß niemand, wann der Spekulantenschwindel von der Realität eingeholt wird. Bei der letzten Krise ereignete sich das auslösende Basis­phänomen im Juni 2006. Die Immobilienpreise in den USA stiegen nicht mehr. Heute könnte es der Ausstieg der großen Zentralbanken aus der extremen Geld- und Kreditproduktion sein, welcher irgendwann die Blase platzen lässt. Wie ein Pyramidenspiel benötigt eine Finanzblase den ständigen, verstärkten Zustrom neuen Geldes. Zusätzlich kommt die, ohnehin begrenzte, ökonomische Wirkung der Steuergeschenke Trumps an ihr Ende. Die Rolle der USA als unbeirrbarer und endlos verschuldungsfähiger Aufkäufer der globalen Überschüsse steht auch mit dem unkalkulierbaren US-Wirtschaftskrieg gegen Iran, Russland und vor allem China in Frage.

Exportweltmeister ohne Märkte?

Für China, aber auch beispielsweise die Bundesrepublik, stellt sich die Notwendigkeit, auf den absehbaren Nachfragerückgang zu reagieren. Auch für das Kraftzentrum China dürfte es schwierig werden, den aktuellen Wachstumspfad aufrecht zu halten. In Deutschland dürfte vor allem die exportverwöhnte Autoindustrie Probleme bekommen. Nicht zuletzt wegen der Umstellung auf E-Mobilität. Die wachsenden gesellschaftlichen Widersprüche rufen bei den Menschen wachsende Protestbereitschaft („Gelbe Westen“) hervor, die das deutsch/europäische Austeritätskonzept ins Wanken bringen könnte. Zwar versucht die EU-Kommission, mit einer brutalen Brexit-Strategie ihre Entschlossenheit zur Verteidigung des bisherigen, unnachgiebigen Kurses zu unterstreichen, aber wie in Italien wachsen die zentrifugalen Kräfte, die ein überraschend schnelles Ende von Deutsch/Europa einleiten könnten.

Bislang hat die Trump-Adminis­tration auf die Eröffnung eines eigenständigen, großen Krieges verzichtet. Die sich mit dem Auslaufen des Fiskalimpulses abzeichnenden sozioökonomischen und politischen Probleme, ausgerechnet vor der nächste Präsidentenwahl, könnte die Präferenz für eine Kriegsoption deutlich steigern. Da die bisherigen „Erfolge“ des US-amerikanischen Handelskrieges recht überschaubar sind, liegt die Versuchung nahe, den Krieg auf andere Gebiete auszuweiten, in denen man über bessere Karten zu verfügen hofft. Es sind nicht die besten Perspektiven, mit denen das Jahr 2019 beginnt.

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"Große Krise 2.0?", UZ vom 4. Januar 2019



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