Alleinerziehende und ihre Kinder sind besonders oft von Armut betroffen. Justizminister rät, „stärker berufstätig“ zu sein

Häufig arm trotz Vollzeitjob

Der französischen Königin Marie Antoinette wird das Zitat zugeschrieben: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ An der Ignoranz der Regierenden gegenüber den Nöten und Sorgen der einfachen Leute scheint sich seit den Tagen des Absolutismus wenig geändert zu haben. Das jüngste Beispiel hierfür sind die Pläne zur Reform des Unterhaltsrechts, die Justizminister Marco Buschmann (FDP) in der vergangenen Woche gegenüber den Zeitungen der „Funke-Mediengruppe“ vorgestellt hat.

Betroffen sind insbesondere Trennungsfamilien, in denen ein Elternteil die Hauptbetreuung leistet und der andere Elternteil sich zu einem bestimmten Prozentsatz bei der Erziehung einbringt. Als Beispiel nannte der Minister einen Vater, der 4.000 Euro im Monat verdient und 40 Prozent der Erziehungsleistung übernimmt. Verdient die hauptbetreuende Mutter des gemeinsamen Kindes 2.000 Euro, zahlte der Vater bislang rund 500 Euro Unterhalt. „Wenn unsere Pläne umgesetzt werden, wird der Vater etwas mehr als 400 Euro zahlen. Wenn wir Väter dazu motivieren, sich stärker in der Betreuung der Kinder zu engagieren, hilft das auch den Müttern. Sie können dann etwa stärker berufstätig sein“, so die Argumentation des Ministers. Dabei ignoriert er, dass schon jetzt 42 Prozent der Trennungskinder arm sind, obwohl viele Alleinerziehende in Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten. „Da ist der Spielraum für mehr Erwerbsarbeit gering“, selbst wenn der andere Elternteil noch einen Nachmittag mehr übernehme, so die Kritik des NRW-Landesverbands alleinerziehender Mütter und Väter.

Eine Einschätzung, die durch die von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene Studie „Alleinerziehende weiter unter Druck“ bestätigt wird. Nach Daten der Stiftung, der man sicherlich keine besondere Nähe zu Gewerkschaften nachsagen kann, gehen alleinerziehende Mütter häufiger einer Beschäftigung nach als andere Mütter und arbeiten auch öfter in Vollzeit. Dennoch ist das Risiko, in Armut zu leben, für alleinerziehende Familien in Deutschland von allen Familienformen am höchsten. 43 Prozent der Ein-Eltern-Familien gelten als einkommensarm, während es bei den Paarfamilien mit einem Kind 9 Prozent, mit zwei Kindern 11 Prozent und mit drei Kindern 31 Prozent sind.

Frauen sind in besonderer Weise davon betroffen, denn 88 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter. Zwar ist der Anteil der Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II beziehen, seit 2015 zurückgegangen: In den westdeutschen Bundesländern von 36 auf 34 Prozent, im Osten von 43 auf 33 Prozent. Das deutet darauf hin, dass politische Maßnahmen – wie die Reformen von Unterhaltsvorschuss und Kinderzuschlag – dazu beigetragen haben, alleinerziehende Familien aus dem SGB-II-Bezug zu lösen. Trotzdem ist ihr Anteil unter den SGB-II-Haushalten mit 34 Prozent fast fünfmal höher als bei Paarfamilien mit Kindern (7 Prozent). Insgesamt leben 45 Prozent aller Kinder im SGB-II-Bezug in einer Alleinerziehenden-Familie.

Kinderarmut ist hierzulande – nicht nur in Alleinerziehenden-Familien – längst ein Massenphänomen. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts ist mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland von Armut betroffen. In absoluten Zahlen sind dies drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren beziehungsweise 1,55 Millionen junge Erwachsene zwischen 18 bis 24 Jahren.

Hieran wird sich wenig ändern. Am Montag wurde bekannt, dass gerade einmal 2,4 Milliarden Euro für das „sozialpolitische Herzstück“ der Ampel-Koalition, die Kindergrundsicherung, bereitgestellt werden. Die Berliner Koalitionäre setzen spätestens seit der ausgerufenen „Zeitenwende“ andere Prioritäten.
Zurück zu Marie Antoinette: Wenige Monate nach ihrem vermeintlichen Ernährungstipp hat die Revolution die französische Monarchie auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt.

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"Häufig arm trotz Vollzeitjob", UZ vom 1. September 2023



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