2020 soll der Pazifismus aus Japans Verfassung verschwunden sein

Japans neuer Platz an der Sonne

Von Tim Beyermann

Die japanische Verfassung trat 1947 in Kraft und ist seitdem unberührt geblieben. Für eine Verfassungsänderung wird eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments sowie eine einfache Mehrheit in einer Volksabstimmung benötigt. Zu einer solchen Volksabstimmung ist es seit dem Inkrafttreten der Verfassung am 3. Mai 1947 noch nicht gekommen.

Stattdessen werden einzelne Artikel der Verfassung von einer Mehrheit im Parlament umgedeutet. Dabei gibt es vor allem bei einem Artikel immer wieder hitzige Diskussionen. Artikel 9, der „Pazifismus Artikel“, in dem Japan sein Recht auf die Lösung internationaler Konflikte durch militärische Auseinandersetzungen aufgibt, wurde bereits 2014 aufgeweicht. Durch die Mehrheiten im Parlament einigte sich die Regierung aus der national-konservativen LDP mit ihrem Juniorpartner, der einer religiösen Sekte entsprungenen „Komeito“, auf die Legitimierung der JSDF (Japaneses Self Defense Forces, Japanische Selbstverteidigungskräfte). Das geschah, obwohl in Artikel 9 Abs. 2 unmissverständlich steht:

„[…] werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur Kriegführung wird nicht anerkannt.“

Die Neuinterpretation des Artikels sieht die Unterstützung militärischer Auseinandersetzungen von Verbündeten durch die JSDF nicht als Kriegsführung an.

Die LDP versucht nicht erst seit der Wiederwahl Shinzo Abes zum Primierminister 2012, Artikel 9 zu ändern; ihren Unmut verkündeten sie bereits in den 1950ern. Zivilgesellschaftlicher Widerstand formiert sich nur schleppend und trotz einer Zustimmungsrate von nur 42 Prozent für Abes Regierung und einem Anteil von über 60 Prozent der Bevölkerung, der sich gegen die Revision des Artikels ausspricht, schreiten die Pläne der Regierung zur Remilitarisierung Japans voran. Setzen sie sich durch, wird der japanische Premierminister zukünftig auf das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung pochen können.

Für 2019 wurde dem Verteidigungsministerium ein Rekordbudget von 5,3 Trillionen Yen (58 Milliarden Euro) genehmigt. Der Ankauf von Jets, Mittelstreckenraketen und anderem Militärgerät, vornehmlich aus den Vereinigten Staaten, spricht ebenfalls eine klare Sprache. In Japan galt für Jahrzehnte eine stille Übereinkunft unter Politikern aller Parteien nicht mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Militär und Rüstung auszugeben, dies ist spätestens mit diesem Rekordbudget für nichtig erklärt worden.

Als Konstante gegen die Remilitarisierung Japans und die Duldung der 35 000 US-Soldaten und anderer Angestellter des US-Militärs war und ist einzig die Japanische Kommunistische Partei (JCP) verlässlich.

Am 26. Juli werden in Japan aller Voraussicht nach die Oberhauswahlen stattfinden. Bei der letzten Wahl 2016 erhielt die JCP 10.7 Prozent, was über 6 Millionen Stimmen entspricht. Die durch alle Bevölkerungsschichten gleich unpopuläre Verfassungsänderung könnte sich auch hier in einem Zuwachs von Stimmen widerspiegeln. Besonders auf die größte Oppositionspartei, die „Constitutional Democratic Party of Japan“ (CDP), die zwar gegen die von Abes Regierung angestrebte Verfassungsänderung ist, die Verfassung zur Legitimierung der JSDF aber selbst in abgeschwächter Form ändern möchte, kann die Bevölkerung nicht zählen. Auch von der letzten größeren Oppositionspartei, der „Japan Innovation Party“ (Ishin) ist keine Gegenwehr zu erwarten. Damit bietet allein die JCP eine Alternative zur neuen japanischen Kriegstreiberei.

Geschürt durch die Angst vor einem Atomwaffenprogramm der DVRK, aber auch durch immer wieder aufkommende Spannungen mit der VR China im Südchinesischen Meer bekommen japanische Politiker all die Munition, die sie brauchen, um neue Waffenkäufe, größere amerikanische Militärbasen auf Okinawa und nicht zuletzt die Änderung der  Verfassung zu rechtfertigen.

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"Japans neuer Platz an der Sonne", UZ vom 28. Juni 2019



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