Ukraine-Tour von Blinken brachte nicht die gewünschten Ergebnisse

Kalte Dusche für Selenski

In den Kartellmedien waren die üblichen Phrasen zu lesen. Die „unerschütterliche Unterstützung“ Washingtons für die Kiewer Regierung wurde wieder einmal versichert. US-Außenminister Antony Blinken war mit der unter Joseph Biden revitalisierten Victoria „Fuck the EU“ Nuland in die Ukraine gereist, um den armen ukrainischen Demokraten gegen Putins wilde Horden aus dem Osten beizustehen. Wieder einmal geht es darum, den „Westen“ – genauer gesagt, die „regelbasierte Ordnung“, noch genauer, die US-Vorherrschaft – gegen die Gefahr aus dem Osten zu verteidigen. So in etwa jedenfalls, wenn man den Propagandamaschinen glauben will.

Damit es nicht bei warmen Worten bleibt, hat die US-geführte NATO bekanntlich eine Streitmacht von 28.000 Soldatinnen und Soldaten aus 26 Staaten zu einer frontnahen Kriegsübung „Defender Europe 2021“ vor Russlands Haustür zusammengezogen. „Gastgeber“ dieser freundlichen Veranstaltung ist Deutschland. Klar ist auch, dass Russland hier der Aggressor ist, der angesichts des NATO-Großmanövers in unverantwortlicher Weise eigene Truppen ebenfalls an seiner Haustür, allerdings auf eigenem Territorium, stationiert hat. Gegen diesen Aggressor muss die Ukraine natürlich verteidigt werden.

Die Ukraine ist nach dem von Nuland 2014 so brillant orchestrierten Putsch sowohl zum Ausplünderungsobjekt des „Westens“ als auch andererseits zum abhängigen Almosenempfänger „westlicher“ Unterstützungsleistungen geworden – insbesondere von Waffenlieferungen sowie militärisch-logistischen und militärisch-geheimdienstlichen Leistungen. Nun, ausgerüstet mit neuer „westlicher“ Militärtechnologie, fühlten sich die Kiewer Regierung und das rechtsradikal bis faschistisch durchsetzte ukrainische Militär weniger denn je an die Bestimmungen des vom UN-Sicherheitsrat unterstützten Minsker Abkommens gebunden und planten vielmehr eine Revancheoperation gegen die Volksrepubliken Lugansk und Donezk. Die beiden Republiken mit ihren großenteils russischstämmigen Bevölkerungen hatten nach dem antirussischen Maidanputsch aus gutem Grund einen eigenen Staat ausgerufen. Die Putschisten hatten mit einem brutalen Feldzug geantwortet – 14.000 Einwohner der Volksrepubliken starben. Aber die Putschisten kamen nicht durch.

Nun also ein Da-capo. Staatspräsident Wladimir Selenski hatte sogar zur Zurückeroberung der Krim aufgerufen. Jener alten russischen Halbinsel, die sich vor den antirussischen, profaschistischen Mordkommandos wieder in die Arme von Mütterchen Russland geflüchtet hatte. Weitgespannte Pläne also, die – wenn überhaupt – nur mithilfe des „Westens“ eine Chance auf Realisierung hätten haben können. Diese Mittel sah die Selenski-Regierung mit „Defender Europe“ offenbar in Reichweite. Was fehlte, war das Okay der Biden-Regierung. Blinken/Nuland sahen sich hohen Erwartungen gegenüber – zumal mit der Biden/Blinken/Nuland-Truppe genau jene Formation in Washington wieder am Ruder ist, die schon den Putsch 2014 ins Werk gesetzt hatte.

Zu hohe Erwartungen offensichtlich. Soweit bekannt ist, gab es von Blinken weder grünes Licht für die von Selenski und seinen Militärs geplante Zündung des osteuropäischen Pulverfasses noch für die angestrebte Aufnahme der Ukraine in die NATO. Russland hatte klargemacht, dass es eine militärische Operation gegen die Volksrepubliken nicht tatenlos hinnehmen würde. Ein von Kiew auch nur indirekt lancierter Krieg gegen die überlegenen Militärkräfte Russlands würde unweigerlich die militärische Intervention der USA/NATO erfordern, wollte man nicht den Untergang seines so teuer erkauften Vasallen an der Grenze Russlands in Kauf nehmen. Russlands Außenminister, Sergej Lawrow, hatte im April klargemacht, dass der Versuch Kiews, den Donbass militärisch zurückzuerobern, die Ukraine zerstören würde. Die „rote Linie“ war damit von Moskau gezogen – Blinken hat Selenski klargemacht, dass er sie besser nicht überschreiten sollte.

Das Ausbremsen der Putschisten und ihrer Nachfolger in Kiew durch die Biden-Regierung markiert eine Zeitenwende. Den Washingtoner Thinktanks ist klargeworden, dass ein Kampf gleichzeitig gegen alle Hauptmächte der eurasischen Kooperation – Russland, China und Iran – nicht zielführend sein kann. Der Kampf gegen den Aufstieg der Volksrepublik kann, wenn überhaupt, nur gewonnen werden, so betonte Antony Blinken im Interview mit der „Financial Times“, wenn alle Kräfte des Westens bei diesem Projekt zusammenarbeiten. Um Russland, so in etwa die Idee, mögen sich dann die Europäer kümmern. Von einer ähnlichen Erkenntnis war schon die Trump-Regierung geleitet, konnte dies aber wegen des massiven Widerstands der „demokratisch“ orientierten Kartellmedien und des militärisch-geheimdienstlich-industriellen Komplexes nicht in reale Politik umsetzen. Mit Biden wurde nun aber eine klare Priorisierung des Kampfes gegen China festgeschrieben. Das bedeutet für Selenski und seine Hintermänner: Viel mehr als die „unerschütterliche Unterstützung“ wird aus Washington künftig kaum zu erhalten sein. Und die EU ist für ein derartiges Himmelfahrtskommando wie einem Krieg gegen die Atom- und Weltmacht Russland deutlich zu schwach und uneins. Es könnte in Kiew dämmern, dass man 2014 aufs falsche Pferd gesetzt hat.

Für Entwarnung gibt es allerdings keinen Grund. Für die Europäer stellt sich die Frage, ob sie sich tatsächlich von den atlantischen Kriegstreibern um AKK, von der Leyen, Baerbock und Co. in eine gefährliche, möglicherweise atomare Auseinandersetzung mit Russland hineinziehen lassen wollen. Die NATO ist dabei, die strategische Situation der 1980er Jahre auf höherem Level zu reproduzieren. Nur eins bleibt gleich: Das atomare Schlachtfeld ist immer noch Mitteleuropa.

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"Kalte Dusche für Selenski", UZ vom 21. Mai 2021



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