Zur Bildungs- und Erziehungsarbeit in der Pandemie

Kein Herz für Kinder

Mitarbeiter der stationären Jugendhilfe, also in Kinderheimen und -wohngruppen, waren auch vor der Corona-Pandemie täglich mit den sozialen, physischen und psychischen Auswirkungen des Kapitalismus konfrontiert. Hier bilden sich die Folgen eines Systems ab, in dem jedes vierte Kind zu relativer Armut verurteilt ist.

Da Abstandsregeln und Infektionsschutz im Heimalltag nicht zu gewährleisten sind und lange vor Corona Personal- und Wohnraummangel bestimmend waren, leben viele Kinder seit den Pandemie-Bestimmungen wieder in ihren Familien. Das funktioniert nur, weil alle ihre Ansprüche runterschrauben. Kein Internetzugang? Kein Drucker für die Hausaufgaben? Keine Atemschutzmaske für den ÖPNV, weil Hartz IV schon alle ist? Egal. Die Kinder werden vorm Fernseher geparkt. Und auch die Jugendämter drücken alle Augen zu, da die Abwägung zwischen Infektions- und Kinderschutz dem einzelnen Mitarbeitenden überlassen bleibt.

Das Abwälzen der Wirtschaftskrise auf die Arbeiterklasse, vor allem auf Frauen und Kinder, unter dem Deckmantel von Corona vergrößert Angst und Unsicherheit. Folgen sind mehr Stress und erhöhtes Gewaltpotential. Die Kinderschutz-Hotline, ein Beratungsangebot von Ärzten, berichtet von einer Steigerung der Anfragen. „Wir werden teilweise wegen Verletzungen kontaktiert, die sonst nur bei Zusammenstößen mit Autos auftreten“, zitiert die „Neue Osnabrücker Zeitung“.

Wenn Eltern jetzt wieder arbeiten müssen, weil die staatliche Lohnfortzahlung für Kinderbetreuung nicht verlängert wird oder zu gering ist und keine Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind, bleibt vielen nur eins: Die Kinder sich selbst zu überlassen. Inklusive schlechtem Gewissen, da auf allen Kanälen verbreitet wird, dass man selbst schuld ist.
Die geplanten Kita- und Schulöffnungen werden wenig Entlastung bringen. In Baden-Württemberg sollen Kinder eine Woche in die Schule gehen und die andere zu Hause lernen. In der Schulwoche gibt es pro Tag zwei Stunden Unterricht.

In den Wohngruppen der Kinder- und Jugendhilfe wird diskutiert, wie ein Kind aus belasteten Verhältnissen mit 1,5 Meter Abstand getröstet werden kann. Schutzkleidung oder gar mehr Personal sind nicht in Sicht.

Menschen sind für die Monopolkapitalisten nur relevant, wenn sie sich, zumindest perspektivisch, deren Mehrwert aneignen können.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Kein Herz für Kinder", UZ vom 22. Mai 2020



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