„Kommunismus-Kongress“ in Berlin mit festgefahrenen Positionen

Keine Klärung

Am Ende waren Organisatoren und Teilnehmer wohl so schlau wie vorher. Trotz eines ganzen Wochenendes voller intensiver, solidarischer Diskussion konnte keine Klärung erreicht werden. Etwa 300 vor allem junge Menschen versammelten sich vom 23. bis 25. September im Gebäude des „Neuen Deutschland“ in Berlin zum „Kommunismus-Kongress“. Eingeladen hatte die Kommunistische Organisation (KO). Entstanden ist sie aus einem Abspaltungsprozess von SDAJ und DKP. Ihr Ziel war es, einen Klärungsprozess der kommunistischen Bewegung zu initiieren und „die Voraussetzungen für die Gründung der kommunistischen Partei in Deutschland zu schaffen“.

Seit Beginn dieses Jahres, mit dem Krieg der NATO gegen Russland in der Ukraine, wurden die zum Großteil jungen Genossinnen und Genossen auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die Frage der Positionierung der Kommunistinnen und Kommunisten zu diesem Krieg spielt auch international eine große Rolle. Für die KO droht sie, trotz aller Versuche einer Verständigung, zu einer Zerreißprobe zu werden.

Seit Mai hatte die KO ihren Kongress vorbereitet. Im Vorfeld veröffentlichte sie eine Reihe von Podcasts, in denen sie Genossinnen und Genossen befragte. Richard Corell von der „Kommunistischen Arbeiterzeitung“ (KAZ) etwa wurde zur Frage: „ist Russland imperialistisch?“ ebenso interviewt wie der ehemalige Chefredakteur der UZ, Lucas Zeise. Für den Kongress selbst wurde ein abgestuftes Programm entwickelt. Neben Podiumsdiskussionen gab es Workshops und die Möglichkeit, ausgewählte Texte vor Ort zu lesen und dann gemeinsam zu diskutieren.

Die gute Vorbereitung und die rege Beteiligung an den Diskussionen konnten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht zu einer Verständigung kommen konnte. Zu festgefahren scheinen die Positionen zu sein, zu tief liegen die ideologischen Differenzen, zu wenig konkret wurden die Debatten.

Die Frage „ist Russland imperialistisch?“ stellt sich für einen Teil der KO anders als in der DKP. In der Kommunistischen Partei geht es um die Frage: Hat die Monopolisierung des russischen Kapitalismus schon die quantitative Entwicklung erreicht, dass er in sein imperialistisches Stadium umschlägt oder noch nicht? Die Positionierung in der KO geht davon aus, dass der Imperialismus ein weltweites System ist, welches alle Länder erfasst. Somit würde sich das Adjektiv imperialistisch für einzelne Länder verbieten. Weiter gäbe es zwischen den Ländern auch keine qualitativen Unterschiede mehr, sondern sie seien alle mehr oder weniger dem imperialistischen System unterworfen. Folglich gäbe es auch keine nationale Unterdrückung oder (neo-)koloniale Abhängigkeit. Aufgabe jeder Kommunistischen Partei sei es, direkt ihre Bourgeoisie zu bekämpfen. Die Möglichkeiten, mit Teilen der Herrschenden Klasse taktische Bündnisse einzugehen, sei falsch und würde die Arbeiterklasse den Interessen des Kapitals unterordnen.

Die Auseinandersetzung auch der kommunistischen Weltbewegung geht also bis in die Tiefen ihrer philosophischen Begründung. Die unbelegte Behauptung, Quantitäten schlügen in den gegenwärtigen politisch-ökonomischen Verhältnissen nicht mehr in Qualitäten um, rüttelt sehr am revolutionären Gehalt des dialektischen Materialismus.

Die praktische Relevanz der Fragestellung gelang es nur vereinzelt anzudiskutieren. Immer wieder blitzte auf, welche Rolle die Volksrepublik China für die kommunistische Bewegung spielt. Scheinbare Einigkeit bestand in der Positionierung gegen den Hauptfeind im eigenen Land: Gegen Waffenlieferungen, Wirtschaftskrieg und Abwälzung der Lasten auf die Klasse. Welche Rolle es spielt, ob Russland imperialistisch ist oder nicht, wenn der „eigene“ Imperialismus Russland ruinieren will, blieb offen. Bequemer ist die Position „alle Imperialisten sind gleich“ auf jeden Fall. Kann man sich doch in dem Fall abstrakt auf den Kampf um den Sozialismus vorbereiten und muss sich nicht mit den konkreten Widersprüchen beschäftigen und antworten für die Arbeiterklasse heute geben.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Keine Klärung", UZ vom 7. Oktober 2022



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