Gemeinden kommen trotz Steuererhöhungen nicht aus der Krise

Krisenmodus

Von Vincent Cziesla

Der Streit über die finanzielle Lage der Kommunen wird immer mehr zum Kampf um die Deutungshoheit über Zahlen und Begriffe. Besonders deutlich wurde dies in jüngster Vergangenheit durch die Berichterstattung über eine vom Beratungsunternehmen Ernest & Young (EY) erarbeitete Studie. Mit solchen Papieren, für die EY von keiner Stelle einen Auftrag hatte, will das Unternehmen Beratungsaufträge von Kommunen generieren, ein typischer Vorgang. „Kräftige Steuererhöhungen zeigen Wirkung: Deutsche Kommunen erwirtschaften wieder Überschüsse“, war der Titel der Pressemitteilung, mit der EY seine Studie der Öffentlichkeit präsentierte. Kenner des Analyse-Papiers mit dem Titel: „Entwicklung der kommunalen Realsteuern 2005 bis 2017“ dürfte diese Überschrift überraschen. Über die Entwicklung, ihre Verläufe und ihre möglichen Gründe findet sich nichts, schließlich werden in der gesamten Analyse keinerlei Wirkungszusammenhänge diskutiert.

Stattdessen handelt es sich zum größten Teil um die Darstellung und Veranschaulichung von Daten des Statistischen Bundesamtes. Eine Einordnung dieser Zahlen erfolgt nur punktuell, etwa dann, wenn festgestellt wird, dass 69 Prozent der Kommunen im Jahr 2017 einen „hohen“ Gewerbesteuer-Hebesatz auswiesen. Wie das Statistische Bundesamt kürzlich mitteilte, lag der durchschnittliche Gewerbesteuer-Hebesatz im Jahr 2016 bei 400 Prozent. Warum die EY-Analyse vor diesem Hintergrund jeden Hebesatz ab 350 Prozent als „hoch“ klassifiziert, wird nicht weiter erklärt. Insgesamt eignet sich die Studie kaum als politischer Impulsgeber, was der Rezeption in zahlreichen überregionalen Medien jedoch keinen Abbruch tut.

Inhaltlich kann die EY-Analyse folgendermaßen zusammengefasst werden: In den letzten 5 Jahren erhöhten 53 Prozent der Kommunen den Gewerbesteuerhebesatz. 60 Prozent der Kommunen taten das Gleiche mit dem Hebesatz der Grundsteuer. Seit 2015 erwirtschaften die Kommunen Überschüsse – insgesamt 10,7 Milliarden Euro im Jahr 2017. Der oben zitierten Pressemitteilung ist zusätzlich zu entnehmen, dass die Hebesätze gerade in den Kommunen erhöht wurden, die durch ihre desolate Finanzsituation zu diesem Schritt gezwungen waren. Gemeinden mit einer besseren Haushaltslage konnten ihre Steuersätze hingegen stabil halten.

Diese Erkenntnisse sind weder neu noch überraschend. Die Steuererhöhungen sind die logische Konsequenz der seit Jahren miserablen Finanzlage der Kommunen. Gerade die strukturschwachen Gemeinden sind darauf angewiesen, ihre Einnahmen zu steigern. Dabei wird häufig zuerst auf die Grundsteuer zurückgegriffen und somit das Wohnen für alle Menschen im Ort verteuert. Das hat mehrere Gründe: Im Gegensatz zur Gewerbesteuer ist die Höhe der Grundsteuer B verlässlich prognostizierbar, da die Besteuerungsbasis im Grunde immer gleich bleibt. Diese Basis bilden die bebaubaren und bebauten Grundstücke in der Kommune. Für die Kommunen ist Vorsicht geboten, eine Erhöhung der Grundsteuer B, die bei Miet- und Pachtobjekten auf die Nutzer umgelegt wird, macht Wohnen teurer, hält Investoren von Neubauprojekten ab und führt zu weiteren sozialen Schieflagen.

Gewerbesteuern hingegen werden auf die Gewinne von Unternehmen erhoben. Diese drohen im Rahmen von Gewerbesteuerdebatten häufig mit dem Wegzug aus der Gemeinde. Eine ernstzunehmende Drohung, insbesondere dann, wenn zur Verlegung des Firmensitzes nur ein neuer Briefkasten notwendig ist. In den unterfinanzierten Kommunen ist die Angst vor dem wirtschaftlichen Exodus daher groß und der Konkurrenzdruck untereinander enorm. Verschlimmert wird die Situation durch innerdeutsche Steueroasen, die mit den niedrigsten Hebesätzen locken.

Unter diesen Bedingungen bedeutet eine Gewerbesteuererhöhung häufig den Eintritt in einen Teufelskreis: Unternehmen verlassen den Ort oder siedeln sich gar nicht erst an, Investitionen in die Infrastruktur unterbleiben, die Stadt verliert an Attraktivität und sieht sich dem erneuten Druck zur Kostensenkung oder Steuererhöhung ausgesetzt. Insofern muss der von EY suggerierte Zusammenhang zwischen den Hebesatzerhöhungen und dem kumulierten Finanzüberschuss der Gemeinden sehr kritisch betrachtet werden: die meisten Kommunen, die an der „kräftigen Steuererhöhung“ beteiligt waren, befinden sich weiterhin im Krisenmodus.

Doch auch die vermeintlich „reichen“ Gemeinden befinden sich keineswegs in einer entspannten Situation. Es muss beachtet werden, dass jenseits der Überschüsse noch immer gewaltige Schuldenberge existieren. So belief sich allein die Summe der Kassenkredite in den deutschen Gemeinden zum 31.12.2017 auf mehr als 42 Milliarden Euro. Rund 30 Prozent der Kommunen sind vollkommen überschuldet. Eine Erhöhung des Zinsniveaus könnte daher zahlreiche Städte und Gemeinden in eine unmittelbare Krise stürzen und formal vorhandene Überschüsse aufzehren. Gleiches gälte im Falle eines Konjunktureinbruches.

Auch die rigide Sparpolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte hat nachhaltige Schäden angerichtet. So ist es selbst den Kommunen, die derzeit tatsächlich einen Aufschwung erleben, oft unmöglich, die hinzugewonnenen Mittel zu investieren. Der vorangegangene Personalabbau verhindert die Planung und Durchführung von Bauprojekten. Die in den deutschen Kommunen getätigten Investitionen reichen derzeit nicht einmal aus, um die bestehende Infrastruktur zu erhalten – von den dringend benötigten zusätzlichen Investitionen in kulturelle, soziale und ökologische Angebote ganz zu schweigen.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Krisenmodus", UZ vom 14. September 2018



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