Kultursplitter

Von Herbert Becker

Verwirrung

Vor einigen Tagen wurde das umfangreiche Programmheft der diesjährigen Ruhrfestspiele Recklinghausen versandt. Das Programm startet traditionell am 1. Mai und geht bis 18. Juni, ein Blick auf das Angebot lohnt. Erinnert sei an den Beginn dieses Theaterfestivals 1947, wo unter dem Slogan „Kunst für Kohle“ das Schauspielhaus Hamburg als Dank für unkonventionelle Hilfe im bitterkalten Winter 1946/47 durch Kohlelieferungen einige Aufführungen in Recklinghausen im Sommer 47 für die Bergarbeiter und ihre Familien zeigte. Die Stadt und der DGB gründeten daraufhin einen Gesellschaft zur ständigen Durchführung der dann so genannten Ruhrfestspiele.

Liest man nun das Vorwort des Intendanten Frank Hoffmann, so ist von diesem Geist nichts mehr übrig. Er schwadroniert über Theater als Ort der Veränderungen, es stelle Fragen nach Moral und Werten, mit Sand in den Augen, der Kopf sei schwer, aber die Beine tanzen. Die Umschwünge nach dem Krieg und im Deutschland von heute, ganz konkret die Maidan-Revolution seien Themen des Programms.

Das Vorwort des Vorstandsvorsitzenden der Evonik AG, Hauptsponsor des Festivals, bietet auch einige Perlen bescheidener Wortkunst. Klaus Engel meint „Zeiten der Metamorphosen und gesellschaftlicher Umbrüche waren auch immer Zeiten der großen Gefühle. Nicht selten wurden sie von Entrückung, Ekstase oder Eskapismus begleitet.“ Man mag sich gar nicht vorstellen, was Industriebosse darunter verstehen, im Alltag ihres Managertreibens geht es doch wohl eher um Profitsteigerung und Beißverhalten.

Das Programm ist geprägt von dem, was so auf Reisen geht, wo solche Zusatztermine gut fürs Budget sind. Und die modischen Lesungen von Schauspielerinnen und Schauspielern, möglichst bekannt durchs Fernsehen, die irgendwelche Texte vortragen. Alles zusammen bekommt das Motto „Kopfüber Weltunter“, hört sich nach Kunst an und macht nicht gerade neugierig.

Freiräume

Klaus Lederer, frisch ernannter Senator für Kultur im Lande Berlin, ließ sich vom ZDF ins „Aspekte“-Studio einladen. Einige Köstlichkeiten seines Geredes:  „Kultur ist bunt und zweckfrei“, „Kultur hat keinen politischen Auftrag und keine pädagogische Erziehungsaufgabe.“ Lieber schwärmt er von Freiräumen und dass Kultur von Vielfalt und Offenheit lebe. Die Gleichsetzung von Kultur und Kunst gelang ihm im Verlauf des Interviews mehrfach. Man gewann den Eindruck, er verstehe unter Freiräumen, dass man den Kopf möglichst von allem freiräume, was an Erkenntnissen und Einsichten von demokratischen und sozialistischen Köpfen gewusst wurde und Fundament auch einer solchen Regierungsbeteiligung sein sollte.

Ankündigung eines Spektakels

Die Veranstalter der „LitCologne“ haben erklärt, dass sie unter vielen Bewerbungen für eine Zweitveranstaltung ihres Spektakels das Ruhrgebiet auserkoren haben. Im Oktober soll, hauptsächlich in Essen, ein Programm mit rund 75 Lesungen ablaufen. Das Budget wird mit einer halben Million beziffert, nur ein Fünftel dessen, was das Original in Köln alljährlich verschlingt. Aber mit der Funke-Mediengruppe, also WAZ/NRZ, als Flaggschiffen wird man genügend Wirbel machen können.

Ob man sich freuen soll? Das Programm im März ist reinstes „Namedropping“, Hauptsache die Säle werden voll und die teuren Eintrittskarten gehen weg: Paul Auster, Charlotte Link,  T. C. Boyle, Ian McEwan, Carlos Ruiz Zafón, Alfred Grosser, Ian Kershaw, María Dueñas, Jarett Kobek, Simon Beckett, und so weiter. Zu den deutschsprachigen Autoren gehören unter anderen Richard David Precht, Martin Suter, Eva Menasse, Carolin Emcke, Thomas Melle, Clemens Meyer, Zsuzsa Bánk, Philipp Winkler. Es wäre des Schweißes der Edlen würdig, für das Ruhrgebiet ein Programm ganz anderer Art auszudenken.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Kultursplitter", UZ vom 3. Februar 2017



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