Im Bundestag wurde das Pflegeberufereformgesetz beschlossen

Leere Hülle ohne Inhalt?

Von Nina Hager

ver.di

Vieles offen und unbefriedigend

Auf der Internetseite der Gewerkschaft (https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/reform-der-pflegeausbildung) wird zur Reform der Pflegeausbildung wie folgt Stellung genommen:

Positiv sei zwar, dass die Notwendigkeit anerkannt werde, die Abschlüsse in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und Altenpflege zunächst beizubehalten, sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. „Auch künftig brauchen wir eine hinreichende Spezialisierung, dies muss langfristig gesichert sein. Schließlich macht es einen fachlichen Unterschied, ein Kleinkind oder einen älteren Menschen zu pflegen. Kritisch sehen wir aber die vorgesehene Überprüfung der eigenständigen Berufsabschlüsse“, so Sylvia Bühler.

Weiterhin offen seien zudem die Inhalte der geplanten Ausbildungsgänge. „Unbefriedigend ist, dass der angekündigte Entwurf der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens nicht vorgelegt wurde. Angesichts der großen Bedeutung für die Berufsgruppe hätten wir auch eine weitere öffentliche Anhörung zu den umfangreichen Änderungen am Gesetzentwurf erwartet“, so Bühler weiter. Die Weichen müssten von Beginn an richtig gestellt und die Umsetzung gewährleistet werden. „Einbrüche bei den Ausbildungszahlen darf es angesichts des hohen Fachkräftebedarfs nicht geben.“

Das Gesetz enthalte aber auch einige positive Ansätze wie die längst überfällige Schulgeldfreiheit oder Vorgaben zum Umfang der Praxisanleitung, die ver.di seit Jahren fordere. Außerdem sei es ein wichtiges Signal, dass die betriebliche Mitbestimmung sichergestellt sei. „Betriebs- und Personalräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen müssen auch künftig mitreden und mitentscheiden können, wenn es um Fragen der Ausbildungsbedingungen geht“, sagt Bühler. Dafür habe sich ver.di im Vorfeld stark gemacht und werde sich auch weiterhin in die weitere Ausgestaltung der neuen Ausbildungen einbringen. Noch steht der abschließende Durchgang des Pflegeberufegesetzes im Bundesrat aus.

Am 22. Juni beriet und beschloss der Bundestag den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG). Der Gesetzentwurf wurde mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ein Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern“ wurde abgelehnt. Zehn Jahre hatte es gedauert, ehe im Bundestag ein Gesetzentwurf vorgelegt werden konnte, den eine Mehrheit unterstützte.

Entsprechend des beschlossenen Gesetzes sollen alle Pflegekräfte künftig in den ersten beiden Jahren eine gemeinsame Ausbildung durchlaufen. Im letzten Jahr der Ausbildung können sie dann entweder die allgemeine Ausbildung fortführen oder sich auf die Kinderkrankenpflege beziehungsweise die Altenpflege spezialisieren. Auszubildende in der Pflege müssen – das ist ein wirklicher Fortschritt – künftig kein Schulgeld mehr bezahlen, sondern bekommen eine Ausbildungsvergütung.

Außerdem kann künftig die Pflegehelferausbildung auf die Ausbildung zur Pflegefachkraft angerechnet werden. Ergänzend zur beruflichen Pflegeausbildung soll es ein Pflegestudium geben. Mit der Zusammenlegung bisheriger unterschiedlicher Ausbildungen will man – vor allem mit Blick auf die immer wichtiger werdende Altenpflege – den Pflegeberuf attraktiver machen. So soll dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. Der erste Ausbildungsjahrgang wird, so ist es beabsichtigt, 2020 beginnen.

Für die zuständige Ministerin Katarina Barley (SPD) bedeutet das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe einen großen Schritt in Richtung einer Aufwertung der sozialen Berufe. Man habe auf die veränderte Situation reagiert, Krankenpflege und Altenpflege einander angenähert, „indem Pflegekräfte eine moderne, generalistische Ausbildung erhalten, die EU-weit anerkannt ist. Deren Abschluss eröffnet sogar noch die Möglichkeit zum Pflegestudium, das heißt, wir schaffen auch mehr Aufstiegschancen in der Pflege.“

Hermann Gröhe (CDU), Bundesminister für Gesundheit, wies in der Debatte die Aussagen der Opposition zurück, das Gesetz sei unzulänglich. Man habe im Bundestag schließlich zehn Jahre diskutiert. Die alternde deutsche Gesellschaft werde in Zukunft mehr Pflegekräfte brauchen. Deshalb müssten die Pflegekräfte besser auf die veränderten Anforderungen in der Praxis vorbereitet werden.

Kritik kam im Bundestag vor allem von Abgeordneten der Fraktion der Partei „Die Linke“ sowie der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Pia Zimmermann („Die Linke“) meint, die Pflegeausbildung werde unübersichtlicher. Ihre Partei hatte eine integrierte Ausbildung vorgeschlagen. Zudem sei die Finanzierung noch nicht endgültig geklärt. Elisabeth Scharfenberg von den Grünen warnte, die Ausbildungsreform sei kein Allheilmittel gegen Fachkräftemangel, wie dies immer wieder dargestellt worden sei.

Der Abgeordnete Harald Weinberg („Die Linke“) kritisierte das Verfahren: Nach zehn Jahren Diskussion habe man kurz vor Ende der Wahlperiode im Ausschuss einen Kompromiss vorgelegt, der 46 Änderungsanträge auf 80 Seiten enthalten habe und „durchgezogen“ wurde: „Etliche Einrichtungen der Pflegeausbildung fürchten zu Recht, dass sie dabei auf der Strecke bleiben könnten. Alleine die Organisation der Praxisphasen überfordert vor allen Dingen kleinere Ausbildungseinrichtungen in einer ganz besonderen Art und Weise …“

Positiv bewertet wird das Wegfallen des Schulgeldes und die Möglichkeit der Interessenvertretung, über die Mitbestimmung auf die Ausbildung Einfluss zu nehmen. „Auch die Ausbildungsumlage und den Fonds will ich als positiven Punkt benennen.“

Kritik am neuen Gesetz kommt von Unternehmen, Wohlfahrts- und Berufsverbänden. Für den Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) ist das neue Gesetz „Murks“. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) erklärte: „Der Bundestag hat eine leere Hülle ohne Inhalt beschlossen. Noch ist völlig unklar, ob es für die Altenpflege und die Altenpflegeschulen eine Zukunft gibt.“ „Die jetzt verabschiedete Reform bleibt deutlich hinter dem ursprünglichen Gesetzentwurf zurück“, meint der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). Der Deutsche Berufsverband für Altenpflege (DBVA) sieht die Gefahr, dass das Gesetz den ohnehin schon großen Fachkräftemangel weiter verschärfen werde: „Sehenden Auges ein Gesetz kurz vor Ende der Legislaturperiode in die Abstimmung zu bringen, welches das gesamte System kollabieren lassen wird, ist absolut nicht nachvollziehbar.“

Eine Reform der Pflegeausbildung sei schon lange überfällig, so die Gewerkschaft ver.di, das neue Gesetz sei aber nicht mehr als ein Kompromiss.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Leere Hülle ohne Inhalt?", UZ vom 7. Juli 2017



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