Viel wird uns nicht versprochen. Alle vier Jahre darf man wählen, um der einen oder anderen Kapitalfraktion einen kleinen Vorteil zu verschaffen und an der Besetzung des parlamentarischen Sachzwangtheaters mitzuwirken. Aber immerhin: Jede Stimme zählt. Dieses Minimalversprechen gilt im Grunde unbegrenzt, mit einer kleinen Ausnahme: Wer bei der vergangenen Bundestagswahl für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gestimmt hat, guckt in die Röhre.
9.529 Stimmen fehlen dem BSW nach aktuellem Auszählungsstand, um über die 5-Prozent-Hürde zu springen. Noch nie ist eine Bundestagswahl so knapp ausgegangen, noch nie hing die Regierung an einem so dünnen Faden. Denn stellt sich bei einer Neuauszählung heraus, dass das BSW doch in den Bundestag einzieht, ist die schwarz-rote Mehrheit dahin. Aufgrund von bisher bekanntgewordenen statistischen Auffälligkeiten geht das BSW von rund 32.000 falsch oder gar nicht zugeordneten Stimmen aus. Aus Sicht von SPD und Union ist es daher am besten, wenn nicht noch einmal nachgezählt wird.
Das lässt sich einigermaßen einfach bewerkstelligen. Das Verfahren ist klar geregelt: Erst muss der Wahlprüfungsausschuss über die Beschwerde des BSW diskutieren. Anschließend muss der Bundestag über eine mögliche Neuauszählung entscheiden. Dann erst kann geklagt werden. Mit den international anerkannten bürgerlich-demokratischen Standards hat diese Herangehensweise nichts zu tun – aber so sind die Regeln in Deutschland.
Nun können sich Union und SPD, die die Mehrheit im Wahlprüfungsausschuss haben, erst einmal Zeit lassen. Eine Frist gibt es nicht, rund 900 Wahlbeschwerden liegen vor. Da kann es schon einmal bis zum Ende der Legislaturperiode dauern, bis entschieden wird. Und dann ist es ja auch egal.
Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Die Bundeszentrale für politische Bildung hilft: „Die deutsche Demokratie ist in Auseinandersetzung mit der politisch-moralischen und militärisch-materiellen Katastrophe des ‚Dritten Reiches‘ und in Abgrenzung vom Kommunismus sowjetischen Musters entstanden.“ Nun, mit dem Kommunismus hat das BSW nix zu tun, und mit der Moral hat man es generell nicht mehr so. Aber um die Wiederholung der „militärisch-materiellen Katastrophe“ abzuwenden, mag es hilfreich sein, Kriegsgegner und Störenfriede aus dem Parlament zu halten. Dieses Mal will man ja schließlich gewinnen.