Beim Lesen einer Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung • Kolumne von Lucas Zeise

Lust auf Sozialismus

Der Titel dieser Kolumne stammt von der zur Linkspartei gehörenden Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie, oder genauer der Leiter ihres Instituts für Gesellschaftsanalyse, Mario Candeias, hat im Januar eine Broschüre mit dieser Überschrift herausgegeben. Das Heft enthält zehn Aufsätze, darunter einen („Der Weg, den ich demokratischen Sozialismus nenne“) von Bernie Sanders, der sich wie schon vor vier Jahren um die Präsidentschaftskandidatur der „Demokratischen Partei“ der USA bewirbt. Dass es Sanders nicht um die Abschaffung des Kapitalismus und seine Ersetzung durch eine andere Produktionsweise geht, sondern um eine sozialere Politik in den USA und um den Versuch, die Macht der dort herrschenden Oligarchie einzuschränken, hat sich herumgesprochen. Respekt vor Sanders. Meine Stimme hätte er, wenn ich US-Bürger wäre. Nichtsdestoweniger ist es verwirrend, wenn unter „Sozialismus“ einmal der Weg dorthin, dann das Ziel und schließlich auch noch (wie im früheren Namen der Linkspartei „PDS“) generell linke Programmatik verstanden wird.

Candeias stört sich nicht daran. In seinem Aufsatz mischt er diese Bedeutungen mit Lust. Er zitiert dazu Rosa Luxemburg, die freilich an der angegebenen Stelle nur betont, dass sozialistische Politik, verschiedene Interessen und Bewegungen im Sinne revolutionärer Realpolitik so zu verknüpfen seien, dass sie in allen ihren Teilbestrebungen in ihrer Gesamtheit über den Rahmen der bestehenden Ordnung hinausgehen. „Welche Punkte sind das jeweils in den einzelnen Politikfeldern? An welcher Stelle kann ein konkreter Bruch angestrebt werden bzw. quantitative Veränderungen so weit getrieben werden, dass sie einen qualitativen Umbruch darstellen?“, fragt Candeias und setzt zur Aufzählung an. Die Fragen erinnern in der Wortwahl ein wenig an den an unserem Parteitag am Wochenende zur Diskussion stehenden Leitantrag des Parteivorstands. Mit allerdings dem entscheidenden Unterschied: In der DKP gibt sich niemand der Illusion hin, dass die zu benennenden Bruchstellen schon den „Umbruch“ zum Sozialismus darstellen. Vielmehr geht es uns aktuell darum, an welchen Stellen die schon Jahrzehnte dauernde Offensive des Kapitals zu stoppen wäre.

Sehr viel brauchbarer ist der Beitrag von Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik an dem von Candeias geleiteten Institut. Er verweist auf die aktuelle tiefe Krise des Kapitalismus und die damit anscheinend wachsende „Einsicht, dass es keine kleinteiligen Antworten auf die multiple Krise des Kapitalismus gibt. (S. 51) Solty erinnert an die Erkenntnis von Marx und Engels, dass der Kapitalismus die Voraussetzungen für die neue Produktionsweise schafft. Der Diskussion der „Vielfalt der zeitgenössischen Sozialismusvorstellungen“ schickt er den klärenden Satz voraus: „Unter Sozialismus begreift man gemeinhin eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die das kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln überwindet und diese Produktionsmittel vergesellschaftet, das heißt in Gemein- und Volkseigentum überführt.“ Wie Candeias‘ Aufsatz deutlich macht, ist diese alte Definition unter den heutigen Sozialismus-Diskutanten weder Konsens noch selbstverständlich.

Auch in Soltys oft sinnreichen Erörterungen über notwendige und mögliche Umgestaltungen der Produktionsweise (und Lebensweise) zum Sozialismus fehlt allerdings auffallend die im Kapitalismus herrschende Klasse. Gegen sie muss der Sozialismus und jeder Schritt dorthin erkämpft werden. Sie wird dafür sorgen, dass die von Solty und Candeias gewünschte offene Sozialismus-Debatte nicht als „herrschaftsfreier Diskurs“ stattfindet, auch dafür, dass aus der angestrebten „Transformation“ eine „Revolution“ werden muss, soll der Sozialismus erreicht werden.

Eine Schlussbemerkung: Es bleibt für mich ein Rätsel, dass anscheinend ernsthaft über den Sozialismus diskutiert wird, ohne auf den historischen Versuch, ihn aufzubauen, näher einzugehen. Candeias beginnt seinen Artikel mit dem Satz: „Der realexistierende Sozialismus ist gescheitert.“ Danach vergisst er ihn. Woran, an welcher Stelle ist er denn gescheitert? Auch für uns Kommunisten wird es langsam Zeit, zumindest den Versuch zu machen, diese seit 30 Jahren uns anbrüllende Frage zu beantworten.

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Über den Autor

Lucas Zeise (Jahrgang 1944) ist Finanzjournalist und ehemaliger Chefredakteur der UZ. Er arbeitete unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die Frankfurter „Börsen-Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“. Da er nicht offen als Kommunist auftreten konnte, schrieb er für die UZ und die Marxistischen Blättern lange unter den Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat.

2008 veröffentlichte er mit „Ende der Party“ eine kompakte Beschreibung der fortwährenden Krise. Sein aktuelles Buch „Finanzkapital“ ist in der Reihe Basiswissen 2019 bei PapyRossa erschienen.

Zeise veröffentlicht in der UZ monatlich eine Kolumne mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik.

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"Lust auf Sozialismus", UZ vom 28. Februar 2020



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