Zum Jahrestag des faschistischen Militärputschs in Chile am 11. September

Markierungspunkt

Am Montag jährt sich der faschistische Militärputsch gegen die Regierung der chilenischen „Unidad Popular“. Am 11. September 1973 erhoben sich die mörderischen Militärs um General Pinochet und zwangen Salvador Allende in den Suizid. Zehntausende Chileninnen und Chilenen, Mitglieder und Unterstützer der die UP tragenden Parteien, allen voran aus der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei, wurden gefoltert, etwa dreitausend ermordet, viele „verschwanden“. Geschätzt eine Million flüchteten in das Ausland, nicht wenige erhielten politisches Asyl in DDR und BRD.

Wie über keinen anderen ist über diesen Staatsstreich geschrieben worden; doch es war weder in Lateinamerika noch in anderen Weltregionen der erste oder letzte Militärputsch. Das Außergewöhnliche war indes der Umstand, dass hier der Versuch erstickt und verbrannt wurde, Sozialismus auf einem Wege einzuführen, den die zu überwindende bürgerliche Gesellschaft als einzige dafür vorgesehene Möglichkeit eingeräumt hatte: Über Wahlen.

Allende hatte gehofft, dass die oppositionellen Kräfte und auch deren Patron, die US-Regierung mitsamt ihres militärisch-industriellen Komplexes, die Missachtung ihres eigenen Credos niemals so kenntlich machen würden – obwohl im Oktober 1970 sein Vertrauter, General René Schneider, noch vor dem linken Regierungsantritt ermordet wurde, weil er sich einem von Henry Kissinger geplanten Putsch gegen Allende verweigerte. Dass der US-Imperialismus entschlossen und der gesellschaftliche Einfluss seiner Handlanger in Chile stark genug sein würden, erstens die wenigen Regeln der Demokratie zu zerstören (die, wie Pinochet damals im „Spiegel“ zitiert wurde, zwecks ihrer Absicherung „gelegentlich in Blut gebadet werden“ müsse) und sich zweitens trotz mutigen Widerstands im Inland siebzehn Jahre gewaltsam und über die Diktatur-Verfassung de facto bis heute auch juristisch an der Macht zu halten, hatte Gründe.

Einer war, dass die „Unidad Popular“ eine Minderheitsregierung war und gegen einen starken Block der Rechten agieren musste. Ein zweiter, dass die inneren Kräfte in der UP in vielen Fragen divergierten und manche Strategie und Taktik missachteten. Ein dritter, dass Allendes Akzeptanz der bürgerlichen Ordnung eine Volksbewaffnung ausschloss und damit effektiver Widerstand gegen das Militär kaum denkbar war. Ein vierter, vielleicht entscheidender, war, dass Allende es mit seinen wirtschaftlichen Maßnahmen ernst meinte; und weil die UP damit in der Folge – trotz der Aufgabe der christdemokratischen Neutralität zugunsten einer Unterstützung der Nationalisten und trotz des Wechsels der „Partei der Radikalen Linken“ in das rechte Lager – kontinuierlich an Zustimmung gewann. Die UP-Regierung führte in den nur drei Jahren neben einer Alphabetisierungskampagne und Reformen bei Gesundheit und Landwirtschaft auch eine Neuordnung der internationalen Beziehungen durch, wozu eine Hinwendung zur sozialistischen Staatenwelt gehörte. Einige ausländische Unternehmen wurden enteignet und die Verstaatlichung des Kupfers war derart populär, dass sie auch von den Rechten mitgetragen wurde.

Mit der Beobachtung, auf welcher Seite sich vor und nach 1973 welche Menschen und welche Regierung befanden, konnte man lernen, dass DDR und BRD sich in Sachen Allende und Pinochet in jeder denkbaren Hinsicht unterschieden. Der Putsch markierte also auch hierzulande einen nicht zu übersehenden Markierungspunkt – wer 1989 dem Imperialismus die Tür nach Karl-Marx-Stadt öffnete, ebnete ihm auch den Weg nach Kiew.

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"Markierungspunkt", UZ vom 8. September 2023



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