Gefühl der Gerechtigkeit – Politik der Spaltung

Martin Schulz‘ Vorschläge

Von Philipp Kissel

An der Saar ist der Schulz-Effekt verpufft und der Lafontaine-Traum geplatzt. Es wird keine rot-rote-Landesregierung im Saarland geben, wie es sich der ehemalige SPD-Vorsitzende gewünscht hatte. Für die meisten Menschen genügt das „Gefühl für Gerechtigkeit“, das Schulz versprüht, nicht. Die Bilanz der SPD-Regierungspolitik ist eindeutig: Niedriglohn, Altersarmut, Kinderarmut, Rekord-Leiharbeit, und der Mindestlohn reicht auch nicht zum Leben. Die SPD-Arbeitsministerin hat mit dem im letzten Jahr verabschiedeten „Rechtsvereinfachungsgesetz“ sogar eine Verschärfung der Hartz-Gesetze durchgesetzt und mit der Streichung der Sozialleistungen für EU-Ausländer die Politik der Spaltung vorangetrieben.

Auch die Vorschläge des SPD-Kanzlerkandidaten zur Sozialpolitik setzen die sozialdemokratische Spaltung der Lohnabhängigen fort. In vielen Wahlkampfreden spricht Schulz von den „hart arbeitenden Menschen“ und „wer sich abrackert und an die Regeln hält“, der verdiene Respekt. Seine Vorschläge zielen auf ältere Beschäftigte, die Angst vor der Arbeitslosigkeit und vor allem Hartz IV haben. Er bezieht sich ganz bewusst auf ALG I, nicht auf Hartz IV. Die SPD transportiert das Bild, es könne nicht sein, dass wer sein ganzes Leben gearbeitet hat, genau so wenig hat wie ein Hartz IV-Empfänger. Das ist die Spaltung zwischen den „Guten“, die dann vielleicht mal ALG I beziehen und den „Schlechten“, die Hartz IV bekommen.

Schulz hat hierfür einen Vorschlag der früheren CDU-Arbeitsministerin von der Leyen aufgewärmt. Bei Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen soll der Bezug von Arbeitslosengeld I bis zu 48 Monate möglich sein – falls eine Maßnahme von der Bundesagentur für Arbeit (BA) angeboten wird. Den bereits bestehenden Auftrag der Qualifizierung setzt die BA mit größtenteils nutzlosen Maßnahmen mehr schlecht als recht um. Was nun daran besser werden soll, sagt die SPD nicht.

Die Sache bleibt schön unverbindlich, angenehm für Wahlkämpfer. Der Haupteffekt ist, dass Ältere, die kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, in Maßnahmen zwischengeparkt werden und somit aus der Statistik herausfallen. Danach winken Zwangs-Frührente oder Hartz IV. Für die meisten Erwerbslosen, die ALG I beziehen, würde sich nichts ändern, denn die durchschnittliche Bezugsdauer lag im Dezember 2016 bei 130 Tagen, also 4 Monaten. Der Druck, in Armut durch Hartz IV zu kommen, ist hoch genug, jeden Job anzunehmen.

Weiter sieht der Vorschlag vor, dass nach zehn Monaten sozialversicherungspflichtiger Arbeit in den letzten drei Jahren ALG I bezogen werden kann, statt bisher bei 12 Monaten in zwei Jahren. Dies könnte zu einer Ausweitung der Berechtigten für ALG I führen. Falls dann doch der Absturz in Hartz IV kommt, soll man 300 Euro pro Lebensjahr statt bisher 150 Euro „Vermögen“ behalten dürfen. Am Hartz IV-Regelsatz, an den Sanktionen und der Zumutbarkeitsregelung soll sich nichts ändern.

Der Vorschlag ist schön billig, da „nur“ 786 000 Erwerbsfähige ALG I bekommen, aber 4,3 Millionen ALG II. Ein Drittel der offiziell Arbeitslosen bezieht ALG I. Dass das Leben mit ALG I viel besser sein soll, ist auch nur eine Gefühlsfrage. Laut Institut für Arbeitsmarkt und Qualifikation (IAQ) liegen die Zahlbeträge von ALG I oft unter oder nur knapp über dem Leistungsniveau von Hartz IV, wenn man vom Regelsatz und von durchschnittlichen Kosten der Unterkunft ausgeht.

Wenn das Arbeitslosengeld steigen soll, dann müssten die Löhne deutlich steigen. Das hängt in erster Linie von ordentlichen Streiks ab. Einen Einfluss auf die Höhe der Löhne hat aber auch das staatlich definierte Existenzminimum, das im Hartz-Regelsatz festgelegt ist. Solange der so niedrig bleibt wie jetzt, wird es für große Teile der Klasse schwer, höhere Löhne zu erkämpfen. Spaltung und Täuschung war bereits die Grundlage für die Agenda-Politik. Mit der Behauptung, Leiharbeit würde Arbeitslosen den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern, wurde der Kündigungsschutz ausgehebelt. Mit der Erpressung der Erwerbslosen wurde die Kernbelegschaft in die Mangel genommen. Wer höhere Löhne will, muss für einen höheren Regelsatz kämpfen und umgekehrt. Das ist nicht mit SPD und Linkspartei (von den Grünen ganz zu schweigen) zu machen, die in ihren bisherigen Regierungen die Politik der Armut und der Spaltung betrieben haben.

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"Martin Schulz‘ Vorschläge", UZ vom 31. März 2017



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