Zur Bundestagsdebatte am 9. November 2023

Mit der AfD an der Spitze

Kolumne

Erster Tagesordnungspunkt der Bundestagssitzung am 9. November galt der Erinnerung an das von der Naziführung organisierte antijüdische Pogrom in Deutschland vor 85 Jahren. Anschließend folgte eine Debatte über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, den Verteidigungsetat sofort um zehn Milliarden Euro zu erhöhen. Der Übergang vom einen zum anderen Gegenstand war nahtlos.

Das war nicht überraschend nach dem, was sich Parteien, Medien und Behörden der BRD an rassistischer Hetze und beim Schüren von Kriegsstimmung seit dem 7. Oktober geleistet hatten. Bereits am 12. Oktober hatte das Parlament einstimmig, das heißt mit den Stimmen der anwesenden „Linke“-Abgeordneten und denen der AfD, eine Erklärung verabschiedet, in der keinerlei Mitgefühl für Kriegsopfer unter Palästinensern geäußert, Unterstützung allein für Israel gefordert wurde.

Arnold Schoelzel 1 - Mit der AfD an der Spitze - Antisemitismus, Bundestag, Staatsräson - Positionen
Arnold Schölzel

Das wiederholte sich knapp vier Wochen später in dieser Plenarsitzung, an der unter anderem die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer und der Botschafter Israels, Ron Prosor, auf der Besuchertribüne teilnahmen. Am selben Tag fand in Paris auf Einladung des französischen Präsidenten eine internationale Konferenz für humanitäre Unterstützung der Zivilbevölkerung in Gaza statt. Der UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator, Martin Griffiths, rief dort erneut zu einem „humanitären Waffenstillstand“ auf und erklärte: „Der verheerende und wachsende zivile Blutzoll dieses Konflikts ist ebenso erschreckend wie unverzeihlich.“ Zwei Tage zuvor, als die Zahl der getöteten Gaza-Bewohner mehr als 10.000 erreichte, hatte er auf X geschrieben, das verstoße gegen die Menschlichkeit.

Im Bundestag äußerte sich kein Redner, auch nicht Dietmar Bartsch für „Die Linke“, zu diesen Zahlen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) erließ als erste Rednerin vielmehr ein Denk- und Erwähnungsgebot: „Wir stehen fest an der Seite Israels. Und ich sage es in aller Deutlichkeit: Dieser Tage darf es kein Aber geben.“ Alexander Dobrindt (CDU/CSU) dankte ihr dafür ausdrücklich, lobte auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für dessen Forderung nach einer harten politischen Antwort auf islamistische Demonstrationen und fragte, wo die bleibe. Dobrindt schlug vor: Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten für Hetze gegen Israel, Ergänzung des Aufenthaltsgesetzes und die Ausweisung bei antisemitischen Straftaten sowie Passentzug bei Doppelstaatlern. Cem Özdemir (Grüne) erregte sich über „Antisemitismus von links“, der keine „Menschlichkeit“ zeige. Die in Gaza Getöteten erwähnte auch er nicht. Beatrix von Storch (AfD) sprach aus, welche Ideologie den Reden der drei zugrunde lag: „Ein neuer Judenhass konnte aus dem Nahen Osten in Europa einziehen, weil die linke Migrationslobby die Tore weit geöffnet hat.“ Und: „Auf den Palästinenserdemos sehen wir dieser Tage Islamisten und Linke vereint. Diesen Antisemitismus, der real jüdisches Leben und die Existenz Israels bedroht und auslöschen will, finden wir nicht unter der arbeitenden deutschen Bevölkerung.“ Und: „Diese politische Achse reicht von der Hamas bis zu Fridays for Future, von der Hisbollah bis zur Antifa und von der PFLP bis zur Black-Lives-Matter-Bewegung.“ Die Demonstranten gefährdeten „die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Zukunft Deutschlands“. Christian Dürr (FDP) und Konstantin von Notz (Grüne) warfen der AfD-Frau zwar Heuchelei vor, teilten aber ihre Analyse: Die BRD wird durch importierten Antisemitismus bedroht.

Die frühere FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg zog aus all dem die Schlussfolgerung, die beim zweiten Tagesordnungspunkt dann von allen Fraktionen außer der „Linken“ gezogen wurde: „Wir müssen auch wehrhafter werden. Gehört es nicht zur Wahrheit, dass uns die Wahrnehmung des Selbstverteidigungsrechts Israels auch deshalb irritiert, weil wir selbst zu wenig selbstverständlich wehrhaft sind?“ Die „Irritation“ ist unter verbaler Führung der AfD nun vorbei und wird durch „Kriegstüchtigkeit“ ersetzt.

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"Mit der AfD an der Spitze", UZ vom 17. November 2023



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