„Air Defender 2023“: 220 Kampfflugzeuge, darunter US-Atombomber, üben den Ernstfall

NATO probt den Luftkrieg über Deutschland

Vom 12. bis zum 23. Juni findet mit „Air Defender 2023“ am Himmel über Deutschland die „größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Gründung der NATO“ statt, freut sich die Bundeswehr. Unter Schirmherrschaft der bundesdeutschen Luftwaffe trainieren 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus 24 Staaten mit über 220 Kampfflugzeugen in 1.800 Einzelaktionen das „Artikel-5-Beistandsszenario“, ergo den Kriegsfall. Auch das Nicht-NATO-Land Japan entsendet Maschinen. Beteiligt sind ebenfalls atomwaffenfähige Jets des Typs F35. Die Hauptdrehkreuze des Kampfeinsatzes sind die jeweils mehr als 100 Kilometer messenden Luftkorridore über den Bundeswehr-Standorten Jagel in Schleswig-Holstein, Wunstorf in Niedersachsen, Lechfeld in Bayern und Spangdahlem in Rheinland-Pfalz.

Die Führungsstäbe der Luftwaffe überschlagen sich in ihrer Euphorie: Bisher habe man nur auf einem „Kleinfußballfeld“ spielen können, jetzt endlich – und das noch unter deutscher Leitung – komme das „richtige Fußballfeld“. Der Einsatzbefehl gibt eine klare Richtung vor: „Train as you fight“ – „Üben wie in der Wirklichkeit“. Wo gehobelt wird, fallen Späne: Flugverbote für den Zivilluftverkehr werden verhängt, Flüge gestrichen, mit weitreichenden Verspätungen von Passagiermaschinen ist zu rechnen. Die Bevölkerung muss sich in weiten Teilen Deutschlands auf donnernde Überflüge und Luftkampfszenarien einstellen.

Das Manöver ist keine Reaktion auf den Ukraine-Krieg, die Planungen laufen – wie man den offiziellen Informationen der Luftwaffe entnehmen kann – seit 2018. Die schnelle Verlegung von 20.000 US-Soldaten nach Deutschland beim Manöver „Defender Europe 2020“ war nur eine Vorstufe zu „Air Defender 2023“. Gerade zu Ende gegangen ist das Manöver „Dynamic Front 23“ im Raum Grafenwöhr, in dessen Mittelpunkt die Zusammenarbeit von Luft- und Bodenkräften stand. Geleitet wurde die Übung von der US Army 56th Field Artillery Brigade mit Standort in Mainz, die im November 2021 „reaktiviert“ wurde. Seitdem häufen sich die Pressemeldungen, dass in Mainz mit einer Stationierung des Raketensystems „Dark Eagle“ zu rechnen ist. Hyperschallraketen dieses Typs würden Moskau ohne Vorwarnzeit in unter 21 Minuten erreichen. Im Januar 2022 stellte das Mainzer US-Kommando die Verfügung über „Dark Eagle“ noch in Abrede. „Es gibt zurzeit keinen Plan, Waffensysteme in Mainz-Kastel zu stationieren“, hieß es. Das Wörtchen „zurzeit“ lässt zweifeln, ob dies auch nach der „Zeitenwende“ so geblieben ist.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"NATO probt den Luftkrieg über Deutschland", UZ vom 28. April 2023



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