Griechisches Gericht erklärt „Goldene Morgenröte“ zu krimineller Organisation

Niederlage für Nazi-Partei

Mindestens 20.000 Menschen versammelten sich am Mittwoch vergangener Woche vor dem zentralen Gerichtshof in Athen, um die lang erwarteten Urteile im Prozess gegen die griechische Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ zu hören. Die Menge jubelte, als ein Schuldspruch verkündet und die Partei zu einer kriminellen Organisation erklärt wurde. Achtzehn ehemalige Gesetzgeber, darunter Parteiführer Nikos Michaloliakos, gehörten zu den verurteilten Kriminellen.

Es war der größte Prozess gegen die Naziverbrechen seit dem von Nürnberg und späteren Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg. Er rangiert in der griechischen Geschichte neben den Anhörungen von Spitzenoffizieren, die für den Militärputsch von 1967 verantwortlich waren, nach dem Sturz der Junta im Jahr 1974.

Vieles hängt vom Ergebnis ab, nicht nur für Griechenland, sondern auch für die antifaschistische Bewegung auf beiden Seiten des Atlantiks. Da alle 68 Angeklagten, zu denen die gesamte Führung von jetzt ehemaligen Abgeordneten gehört, verurteilt wurden, ist das Urteil ein Schlag gegen all diejenigen Rechten, die sich von der neonazistischen Strategie der „Goldenen Morgenröte“ inspirieren ließen.

Vier Jahre lang verband die Partei im von Sparmaßnahmen verwüsteten Griechenland erfolgreich große Wahlerfolge mit der Terrorisierung von Stadtvierteln, Immigranten und der Arbeiterbewegung mit ihren bewaffneter Banden. Die „Goldene Morgenröte“ ist nicht nur eine rechtsnationalistische Partei. Sie ist eine neonazistische Organisation. „Wir sind die Saat der besiegten Armee von 1945“, sagte Michaloliakos auf einer privaten Parteiversammlung.

Ein Grund für die lange Prozessdauer ist der Umfang der Dokumente und Zeugenaussagen gegen die Angeklagten. Der andere Grund ist, dass die Verteidigungsstrategie aus Verzögerung und Unterbrechung bestand, doch am Schluss gab es keinen Zweifel an den Urteilen zu den Anklagepunkten Mord, Mordversuch, anderen Straftaten sowie Mitgliedschaft und Leitung einer kriminellen Organisation. Das Gericht machte deutlich, dass es sich um einen Strafprozess handele, nicht um einen Prozess von Ideen und dass der Hauptangeklagte nach dem selben Gesetzt verurteilt wird, nach dem Mafiabosse strafrechtlich verfolgt werden, weil sie die Arbeit von Untergebenen gelenkt haben.

Drei Fälle dieser „Arbeit“ waren Teil des Prozesses: die Ermordung des antirassistischen Rappers Pavlos Fyssas und die versuchten Morde an dem ägyptischen Fischer Abouzid Embarak und an dem kommunistischen Gewerkschaftsführer Sotiris Poulikogiannis. Giorgos Roupakias, der Mörder von Fyssas, gehörte zu den schuldig gesprochenen.

Die Wahl der Opfer ist aufschlussreich: Ein radikaler Kulturschaffender, ein migrantischer Arbeiter und ein Gewerkschaftsführer in den Werften von Piräus. Während kriminelle Handlungen und nicht Ideen im Mittelpunkt dieses Prozesses standen, zeigten die Anwälte, die die Opfer vertraten, dass die Naziideologie und -Organisation, die den Kern der „Goldenen Morgenröte“ ausmachen, die Wahl der Ziele, die Absicht und die allgemeine Motivation erklären, die eine Vielzahl von Verbrechen miteinander verbindet.
Für Aufregung während des Prozesses sorgte der Staatsanwalt. Nachdem die aus 50 Anwälten bestehende Verteidigung der „Goldenen Morgenröte“ ihre Liste der Entlastungszeugen von 240 auf 70 reduzieren musste, da sich ein Zeuge nach dem anderen diskreditierte, schlug der Staatsanwalt vor, das Gericht solle die Anklage wegen Bildung und Führung einer kriminellen Organisation abweisen, die Verbrechen seien von „diskreten Individuen“ begangen worden – das habe nichts mit der „Goldenen Morgenröte“ zu tun – und nur der Schläger, der Fyssas erstochen habe, solle verurteilt werden, noch nicht einmal diejenigen, die das Opfer festgehalten hätten.

Am Wochenende vor der Urteilsverkündung spiegelte die offizielle Politik endlich die öffentliche Entrüstung wider. Alle Parlamentspräsidenten gaben Erklärungen ab, in denen sie zu einer Verurteilung drängten.

Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), Dimitris Koutsoumpas, sprach für die radikale Linke insgesamt, der es gelungen ist, die „Goldene Morgenröte“ durch antifaschistische Massenaktivitäten – lokal, parteilich und durch Initiativen wie das Bündnis KEERFA (Bewegung vereint gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung) – zu isolieren.
Gegen die Neonazis stellte sich nun aber auch der ehemalige Premierminister Antonis Samaras, dessen rechtsradikale Regierung vor acht Jahren den Weg für den Aufstieg der „Goldenen Morgenröte“ ebnete und mit dem er im Hintergrund zusammenarbeitete.
Was soll man von einer solchen Heuchelei und Bekehrung in letzter Minute halten? Der antifaschistische Anwalt Thanasis Kampagiannis erklärte dies: „Wir haben diese demokratische Mauer gebaut: die Gewerkschaften, die Nachbarschaftskollektive, die Einwandererorganisationen, die Linke …Und wir wissen, wer in der offiziellen Politik der Erste ist, der die Zinnen verlässt oder dem Feind das Hintertor öffnet. Aber wir haben die demokratische Mauer gebaut. Und wir sind es, die sie verteidigen werden.“

Urteilsbegründung und Strafmaß standen bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ noch nicht fest. Diejenigen, die wegen Führung einer kriminellen Organisation verurteilt wurden, müssen mit bis zu 15 Jahren Gefängnis rechnen, die übrigen mit bis zu 10 Jahren. Roupakis droht eine lebenslange Haftstrafe.

Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Melina Deymann

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"Niederlage für Nazi-Partei", UZ vom 16. Oktober 2020



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