Zum Ampel-Sondierungspapier

No Future für Arbeiterjugend

Die zukünftige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP bezeichnet sich selbst als „Fortschrittskoalition“. Diese Eigenbeschreibung vermittelt den Eindruck, dass die Ampel doch nicht nur die Interessen der Banken und großen Konzerne vertritt. Hat die Politik von „Rot-Grün-Gelb“ tatsächlich Fortschritt und reale Verbesserungen für die arbeitenden Menschen im Land zu bieten? Hierzu hat der DGB im Sondierungspapier, das die Grundlage der Koalitionsverhandlungen bildet, die Themenfelder prekäre Beschäftigung, Ausbildung und Investitionen genauer unter die Lupe genommen und die dort getroffenen Aussagen den eigenen Positionen gegenübergestellt.

Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro als eine zentrale Forderung der Gewerkschaften findet sich tatsächlich als Ankündigung im Papier. Die Umsetzung würde für die Betroffenen im Niedriglohnsektor zwar noch keine „Gute Arbeit“ schaffen, aber die unterste Haltelinie bei der Entlohnung deutlich nach oben verschieben. Ebenfalls positiv liest sich im Sondierungspapier, dass man verhindern will, „dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden“. Ad absurdum wird diese Ankündigung jedoch dadurch geführt, dass die Anhebung der Minijob-Grenze an den Anstieg des Mindestlohns gekoppelt. werden soll. Im Ergebnis bedeutet dies nicht weniger, sondern mehr Minijobs. So dient die angekündigte Anhebung des Mindestlohns indirekt der Ausweitung prekärer Beschäftigung.

Tarifbindung und Mitbestimmung spielen in den Sondierungsgesprächen keine Rolle. Pläne, wie zukünftig mehr Menschen unbefristete und sozialversicherte Arbeit finden sollen, sucht man in dem Papier vergebens. Es gibt weder Aussagen zur Abschaffung sachgrundloser Befristung noch zur Eindämmung des Missbrauchs von Kettenbefristungen. Dies, obwohl zwischen 2001 und 2020 die Zahl der befristeten Arbeitsverträge ohne Sachgrund von 550.000 auf 1,3 Millionen explodiert ist.

Während der Klimaschutz als Forderung von „Fridays for future“ im Sondierungspapier breiten Raum einnimmt, wird die Arbeiterjugend mit einem „No future“ abgespeist. Die von der Gewerkschaftsjugend geforderte Ausbildungsgarantie mit Umlagefinanzierung findet im Papier keine Erwähnung, obwohl noch nie weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden als im vergangenen Jahr und nicht einmal 20 Prozent der Betriebe aktuell noch ausbilden. Stattdessen findet man die nichtssagende Formulierung: „Wir wollen die Jugendberufsagenturen optimieren und ausbauen und eine Exzellenzinitiative Berufliche Bildung auf den Weg bringen.“

SPD, Grüne und FDP betonen im Sondierungspapier, die 2020er Jahre „zu einem Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ machen zu wollen, und kündigen eine Politik an, „die die Investitionen – privat wie öffentlich – deutlich erhöht“. Angesichts der Transformation der Wirtschaft und deren Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Volkswirtschaften verwundern diese Ankündigungen nicht. Zu einem umfassenden und konkreten Finanzierungskonzept sagt das Sondierungspapier jedoch nichts. Auch die zentrale Frage, ob mit den Investitionen Arbeitsplätze erhalten werden sollen oder im Gegenteil die geplanten und längst stattfindenden Werksschließungen und Massenentlassungen im Sinne der Profitmaximierung flankiert werden, beantwortet das Papier nicht.

Klarheit besteht jedoch in der Position, dass man einerseits an der Schuldenbremse festhalten will und gleichzeitig auf eine angemessene Besteuerung der Superreichen und großen Konzerne verzichtet. Da allein mit KfW-Krediten, Schattenhaushalten und Sonderabschreibungen die beschriebenen „Zukunftsinvestitionen“ nicht zu stemmen sind, werden wohl am Ende wieder die „kleinen Leute“ zur Finanzierung herangezogen. Ergebnis dieser Politik wird sein, dass nicht wenige Lohnabhängige die Vernichtung des eigenen Arbeitsplatzes mit den von ihnen gezahlten Steuergeldern bezahlen. Nur Zyniker bezeichnen dies als Fortschritt.

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"No Future für Arbeiterjugend", UZ vom 19. November 2021



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