Meine (halbe) Corona-Woche (15)

Oha!

Gartenbro A., die lesbische Basslehrerin S. und ich lagen im Park rum, es war circa 800 Grad. Die halbnackte Jugend spielte Bier-Pong und für eine inhaltliche Auseinandersetzung zur Frage der Arbeiterklasse in der Pandemie, Tönnies‘ Sauerei und die Karstadt-Misere war es definitiv zu warm. Stattdessen kamen wir – der Grund ist mir entfleucht – auf die Frage, wer das größere Übel darstellt, Ratte oder Taube. Da wir uns nicht einigen konnten, erfanden wir einfach ein Mischwesen: Die Tatte, oder, eher wissenschaftlich, die Raube. Toll. Glücklich beseelt von soviel Kreativität schwebten wir nach Hause. Oder es war doch der Weißwein. Oha!

Jürgen Klopp (und damit Liverpool) ist englischer Meister. Chapeau. Das hat genau zwei Seiten. Erstens: Klopp ist ein irre guter Trainer, vor allem seine Mentalität, sein Humor, sein Enthusiasmus, seine Art, alle in den Bann zu ziehen – einmalig. Und Liverpool spielt einen fantastischen Fußball, vielleicht den besten der Welt. Man gönnt ihnen den ersten Titel nach 30 Jahren. Aber zweitens: Klopp hat mitnichten den SV Wieder Grämen zur Meisterschaft gehievt. Liverpool hat einen Marktwert von sagenhaften einer Milliarde Euro. Unter Klopp gab es Transferausgaben in Höhe von insgesamt 435,98 Millionen Euro. Mit solchen Vorgaben kann man auch mal den Titel holen. In der Realität, fernab von „You‘ll never walk alone“ für den kleinen Malocher, ist der gute Jürgen eben auch nur einer der strahlendsten Verkäufer am Firmament des Turbokapitalismus.

Immer öfter bleiben Spaziergänger vor unserem Garten stehen: „Schau mal, Heribert, der hier ist auch toll.“ Hmm, wir machen was falsch. Oder wie meine Tochter kürzlich im Garten meinte: „Papa, wirst du jetzt doch noch bürgerlich?“ Sicherlich, man hätte das Kind schlagen können. Aber hilft das? Jedenfalls muss bald was entstehen, was die Idylle bricht. Der große kaputte Wecker, der – auf fünf nach Zwölf gestellt – in der alten Wurzel direkt vorm Weg hängt, scheint sich abzunutzen. Vielleicht eine 5 Meter hohe Marx-Statue? Ein Schild mit der Aufschrift „Vorsicht K4[Fe(II)(CN)6]“? Oder ein Donald-Trumpf-Konterfei aus Stiefmütterchen quer über die Wiese mit dem Hinweis „Bitte hier pinkeln“? Ich rede mal mit dem Gartenbro. Idyllen aufbrechen ist mehr sein Metier. Oha!

Bundesliga: Irgendwo las ich den Spruch „Ohne Fans ist Fußball nur Sport“. Bingo. Treffender wird‘s heute nicht mehr. Obwohl man in den Fällen Dortmund, Schalke und Köln auch nicht mehr von Sport reden konnte. Dortmund (0:4): Unverschämt. Schalke (0:4): Lächerlich. Köln (1:6): Wettbewerbsverzerrend bis unter die Decke. Wie es geht, wenn‘s um nichts mehr geht, zeigten die Bayern (4:0 in Wolfsburg) und die Unioner aus Berlin (3:0 gegen Düsseldorf). Letztendlich aber war‘s mir Schnuppe, ich hörte das Ganze mit A. im Radio im Garten und der Tag war so öde wie ein zur Zierfrikadelle verunstalteter Buchsbaum. Der Abend brachte dann: Gar nichts. Ich hab das schwere Gefühl, ich brauche mal dringend Urlaub. Wenn ich schon an einem Samstag nichts mit mir anfangen kann, wird‘s langsam eng um die ungewaschenen Ohren. Oha!

„Oha“ ist im übrigen Mutters kommentierende Allzweckwaffe. Die Brille ist nicht zu finden, der Sohn mal wieder überfällig, die nächste Nazi-Demo angekündigt? Oha (Man spricht es „OhhHA!“). Und somit widme ich der Mutter mal diesen Artikel, weil sie die Idee zur Überschrift hatte. „Nichts zu danken, Oma“, wie meine Tochter früher immer gerne sagte, wenn sie von ihr stundenlang bespielt wurde. Oha!

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"Oha!", UZ vom 3. Juli 2020



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