Ein Rückblick auf den Nationalen Volkskongress in China

Planmäßiger Aufbau

Anfang März dieses Jahres trat in Peking der 14. Nationale Volkskongress (NVK) zu seiner ersten Tagung zusammen. Im Vorfeld wurden – von der lokalen Ebene aufsteigend – die Abgeordneten der chinesischen gesetzgebenden Versammlungen gewählt – insgesamt für die unterschiedlichen Ebenen 2,77 Millionen. Aus der Mitte der lokalen Abgeordneten wurden diejenigen gewählt, welche die Interessen auf der nächsthöheren Ebene vertreten, sodass in den NVK 2.977 dieser Volksvertreter abgeordnet wurden.

In der neuen Ausgabe der „Kommunistischen Arbeiterzeitung“ (KAZ) stellt Conny Renkl den Geschichten der bürgerlichen Medien die Realität gegenüber. Wir veröffentlichen hier einen redaktionell bearbeiteten Auszug.

Was bei der Medienberichterstattung über den NVK hierzulande auffällt: Viel wurde über Wirtschaftsprognosen geschrieben. Die interessieren das deutsche Kapital, denn China soll ihm ja als Konjunkturlokomotive wieder aus dem selbst angerichteten Schlamassel helfen.

Dann war da noch die Erhöhung der Militärausgaben, wobei fast durchgehend verschwiegen wurde, dass die Führungsmacht des Weltimperialismus, die USA, mit weniger als einem Viertel der Einwohner Chinas fast viermal so viel fürs Militär ausgibt wie die Volksrepublik. Pro Kopf gerechnet liegt auch der deutsche Imperialismus deutlich über den Militärausgaben der VR China.

Dazu etwa die „Tagesschau“ vom 5. März: „Die Steigerung der Militärausgaben wird international mit Sorge betrachtet. Unter anderem, weil die kommunistische Regierung Taiwan regelmäßig mit Krieg droht. (…) Die rund 3.000 nicht demokratisch legitimierten Delegierten tagen ab heute rund eine Woche. Sie stimmen üblicherweise allem zu, was ihnen die kommunistische Staats- und Parteiführung vorlegt.“ Und – wie gleichgeschaltet – das „ZDF“ am selben Tag: „In der Theorie ist das, was am Sonntagmorgen in der Großen Halle des Volkes in Peking zusammenkommt, die größte gesetzgebende Versammlung der Welt. In der Praxis ist es ein Scheinparlament, das üblicherweise allem zustimmt, was die kommunistische Staats- und Parteiführung vorlegt.“

Die Tatsachen

Zu den Tagesordnungspunkten der NVK-Tagung im März gehörten die Überprüfung des Rechenschaftsberichts des Staatsrats (etwas, das man bei uns nicht kennt), der Bericht des Ständigen Ausschusses des NVK und vier weitere Berichte sowie die Überprüfung des Antrags zur Änderung des Gesetzgebungsgesetzes der VR China, die Überprüfung des Reformprogramms der Institutionen des Staatsrats sowie die Wahl der Mitglieder der staatlichen Institutionen und die Entscheidung über ihre Ernennung.

Im Folgenden beleuchten wir zwei Höhepunkte näher.
Den Auftakt macht der Rechenschaftsbericht für den Staatsrat, also die Regierung, den der scheidende Ministerpräsident Li Keqiang am 5. März 2023 erstattete.

Zu Beginn wies Li auf die schwierigen Bedingungen der vergangenen fünf Jahre hin, geprägt durch die Corona-Pandemie und das „stürmische internationale Umfeld“.

Die größte Leistung in den letzten fünf Jahren sei die „Armutsüberwindung zum geplanten Zeitpunkt“ gewesen. Über 100 Millionen Menschen auf dem Land konnten aus der Armut geholt werden. In den Städten wurden im Jahresdurchschnitt 12,7 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Das sind so viele wie Ungarn, Tschechien und Slowenien 2021 insgesamt an Erwerbstätigen hatten. Der „Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand (wurde) zum geplanten Zeitpunkt umfassend vollendet“. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum der vergangenen fünf Jahre betrug 5,2 Prozent, das der letzten zehn Jahre im Durchschnitt 6,2 Prozent. Die Endverbraucherpreise sind im Jahresdurchschnitt um 2,1 Prozent gestiegen. Der Staat verfüge über wachsende Finanzeinnahmen trotz Senkung der generellen Mehrwertsteuer als Haupteinnahmequelle von 17 auf 13 Prozent. Weitere positive Faktoren: stabile Getreideproduktion trotz Naturkatastrophen, überdurchschnittlich zunehmende Industrieproduktion trotz zahlreicher Probleme mit Lieferketten und Sanktionen, stabile Devisenreserven bei drei Billionen US-Dollar.

Vorankommen bei Technik …

In Schlüsseltechnologien und Technologien zentraler Bedeutung gab es neue Durchbrüche. In Bereichen wie bemannte Raumfahrt, Mond-, Mars-, Tiefsee- und Tiefbodenerkundung, Supercomputer, Satellitennavigation, Quanteninformation und Kerntechnologie, bei der Konstruktion von Großraumflugzeugen sowie bei künstlicher Intelligenz und Biopharmazie wurden fortlaufend Innovationserfolge erzielt. Der Anteil der gesamtgesellschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung am BIP stieg von 2,1 Prozent auf über 2,5 Prozent (BRD 3,2 Prozent). Der Urbanisierungsgrad ist auf 65 Prozent gestiegen, das entspricht etwa Deutschland im Jahr 1910. Die zuletzt genannten Angaben deuten darauf hin, dass die VR China trotz der gigantischen Erfolge immer noch ein Entwicklungsland ist.

Die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur wurde gewaltig ausgebaut. Allein die Kapazitäten der Flughäfen wurden um 400 Millionen Passagiere erhöht. „Für alle Städte auf Distriktebene wurde eine Abdeckung mit Glasfasernetzen mit einer Geschwindigkeit von 1.000 Megabit pro Sekunde realisiert. Alle Dörfer administrativer Gliederung wurden damit erfolgreich an das Breitbandnetz angeschlossen.“

… und Lebensqualität

Die Kohlendioxidemissionen sind um 14,1 Prozent gesunken. Die Zahl der Tage mit schwerer Luftverschmutzung wurde um mehr als die Hälfte reduziert. Der Anteil der Oberflächengewässer mit guter Wasserqualität im ganzen Land ist von 67,9 Prozent auf 87,9 Prozent gestiegen. „Klare Flüsse und grüne Berge sind so wertvoll wie Gold- und Silberberge – dies ist nach wie vor unser Leitgedanke.“

Über die Jahre wurden mehr als 42 Millionen Wohnungen in Stadtvierteln mit baufälligen Behausungen umgebaut. Über 100 Millionen Menschen sind aus diesen Vierteln in neue Wohngebäude umgezogen und haben somit ein sicheres Dach über dem Kopf. Li betonte: „Unsere Position ist nach wie vor, dass Wohnhäuser zum Wohnen da sind und nicht zur Spekulation.“ Massiv wurden auch die sozialen Sicherungssysteme für das Alter, die Pflege, die Gesundheit und die Arbeitslosigkeit gestärkt. Stolz berichtet Li von den gewachsenen Subventionen dafür – etwas, was bei uns stets als lästiger Haushaltsposten mit Einsparpotenzial geführt wird.

Herausforderungen

Ministerpräsident Li hatte aber auch kritische und selbstkritische Anmerkungen zu machen:

„Beim Blick auf die Entwicklungserfolge sollten wir auch nüchtern erkennen, dass unser Land ein großes Entwicklungsland ist, dass wir uns noch immer im Anfangsstadium des Sozialismus befinden. (…) Das äußere Umfeld birgt wachsende Unwägbarkeiten und die globale Inflation liegt auf hohem Niveau. Die Wachstumstriebkräfte für die internationale Wirtschaft und den globalen Handel schwächen sich ab und Unterdrückungen und Eindämmungen von außen nehmen stetig zu. (…) Es mangelt uns zudem noch immer an ausreichender wissenschaftlich-technologischer Innovationskraft. Beim Schutz von Ökosystemen und Umwelt ist noch lange große Verantwortung zu schultern. (…) In manchen Bereichen der Lebenshaltung der Bevölkerung besteht ebenfalls großer Nachholbedarf. Phänomene wie Formalismus und Bürokratismus stechen weiterhin hervor, in manchen Regionen wird bei der Durchführung der politischen Maßnahmen alles über einen Kamm geschoren oder es werden von höheren zu niedrigeren Stufen immer neue Bedingungen hinzugefügt. Manche Funktionäre zeigen sich untätig beziehungsweise willkürlich im Handeln oder neigen zur Vereinfachung der Dinge. Fehlender Realitätssinn, Zuwiderhandeln gegen den Volkswillen und das Ignorieren der legitimen Rechte und Interessen der Bevölkerung sind noch immer ein Problem. Hin und wieder kommt es außerdem in manchen Bereichen, Branchen und Regionen zu Korruptionsfällen. Kritischen Ansichten und Vorschlägen aus der Bevölkerung in Bezug auf die Regierungsarbeit soll große Aufmerksamkeit geschenkt werden.“

Ziele

In seinem Ausblick führte Li Keqiang aus:

„Die Hauptzielvorgaben für die diesjährige Entwicklung sind die folgenden: Das BIP soll um etwa 5 Prozent gesteigert werden; die Zahl der Beschäftigten in den Städten soll sich um ungefähr zwölf Millionen erhöhen und die durch Stichproben ermittelte städtische Arbeitslosenquote soll bei circa 5,5 Prozent gehalten werden; die Endverbraucherpreise sollen um rund 3 Prozent steigen; das Einkommenswachstum der Bevölkerung soll grundsätzlich in Einklang mit dem Wirtschaftswachstum stehen; bei Im- und Export streben wir mehr Stabilität und höhere Qualität an und zielen auf eine insgesamt ausgewogene internationale Zahlungsbilanz ab; die Getreideproduktion soll auf dem Niveau von mehr als 650 Millionen Tonnen gehalten werden; bei der Energieintensität und der Ausstoßmenge der Hauptschadstoffe streben wir eine weitere Senkung, beim Verbrauch fossiler Energien eine schwerpunktmäßige Kontrolle und bei Ökosystemen und Umwelt eine konstante qualitative Verbesserung an.“

Arbeitendes Parlament

Der Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des NVK, Li Zhanshu, wurde dem NVK am 7. März erstattet. Er gibt anfangs einen Eindruck vom Fleiß und der Volksverbundenheit des chinesischen Parlaments.

„In den vergangenen fünf Jahren haben wir eine Verfassungsänderung verabschiedet, 47 Gesetze formuliert, 111 Überarbeitungsrunden zu bestehenden Gesetzen durchgeführt und 53 Auslegungen, Entscheidungen und Entschließungen zu rechtlichen Fragen und wichtigen Angelegenheiten angenommen. Insgesamt 19 Gesetzentwürfe und Beschlüsse wurden beraten und stehen zur Annahme an. Wir hörten und diskutierten 182 Berichte über Aufsichtstätigkeiten und andere Fragen, überprüften die Umsetzung von 30 Gesetzen und Beschlüssen und führten 11 Sonderuntersuchungen und 33 Forschungsprojekte durch. Alle 2.282 Vorschläge und 43.750 Anregungen, die wir von Abgeordneten erhalten haben, wurden bearbeitet, wobei 98 Prozent der Abgeordneten angaben, dass sie mit der Bearbeitung ihrer Vorschläge oder Anregungen zufrieden waren.“

Besonders deutlich wird hier, dass der NVK keine parlierende, sondern eine „arbeitende Körperschaft“ ist, wie sie Marx in der Pariser Kommune von 1871 als erste proletarische Volksvertretung entdeckt hatte. Es war die Kommune, die ihn zur Überarbeitung seiner Staatstheorie inspiriert hatte. Wie die Kommune verabschiedet der NVK eben nicht nur Gesetze, sondern überwacht ihre Durchführung und kontrolliert ihre Einhaltung.

Li führte in seinem Bericht weiter aus:

„Wir haben die Mechanismen und Methoden für die Durchführung der Aufsicht weiter verbessert und die zuständigen Abteilungen aufgefordert, auf der Grundlage der Ergebnisse unserer Beratungen über die Arbeitsberichte zu handeln. Bei der Durchführung von Inspektionen zur Umsetzung von Gesetzen führten wir Evaluierungen durch Dritte ein, ergriffen verschiedene Maßnahmen wie stichprobenartige Inspektionen, unangekündigte Besuche, Big-Data-Analysen und Fragebogenerhebungen und beauftragten lokale Volkskongresse mit der Durchführung von Inspektionen im ganzen Land. “

Schlussfolgerung

China hat unter der Führung der Kommunistischen Partei mit Xi Jinping an der Spitze – trotz drei Jahren Pandemie – einen vorwärtsweisenden Nationalen Volkskongress erfolgreich abgeschlossen. Partei und Staat haben trotz Verschärfung des Wirtschaftskriegs des US-Imperialismus, trotz Mittragens der Einkreisung Chinas und der Hetze und Aggression durch dessen Verbündete, nicht zuletzt aus Deutschland, einen Kurs eingehalten, der einerseits den Imperialismus taktisch ernst nimmt, aber strategisch weiß, dass die Weltherrschaft der USA und des imperialistischen Systems ihren Zenit überschritten hat. Der NVK 2023 hat unterstrichen, dass China selbstbewusst in die Zukunft blicken kann und seinen Kurs des Friedens und der friedlichen Koexistenz, seinen Kurs des Aufbaus eines modernen sozialistischen Landes unbeirrt, zuverlässig und stabil weiter verfolgen wird – trotz des Gekläffs aus Berlin.

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"Planmäßiger Aufbau", UZ vom 21. Juli 2023



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