Streik am Uniklinikum Aachen: Vom Kampf um Entlastung zur Tarifrunde der Länder

„Plötzlich sind wir wichtig“

In der Tarifrunde öffentlicher Dienst der Länder (TdL) ruft ver.di zu Warnstreiks auf. In der vergangenen Woche haben unter anderem die Beschäftigten der Unikliniken in Nordrhein-Westfalen gestreikt, die bereits im letzten Jahr einen langen Kampf um einen Tarifvertrag Entlastung (TVE) geführt haben. UZ-Interview mit einer Streikenden am Uniklinikum Aachen (Name der Interviewten geändert).

UZ: Die Beschäftigten am Uniklinikum Aachen haben am vergangenen Freitag ganztägig gestreikt. Warum?

Iris Tanner: Es geht uns um unsere Lohnforderungen in den laufenden Verhandlungen der TdL. Die Arbeitgeber haben die zweite Verhandlungsrunde scheitern lassen, so dass wir nun gezwungen sind zu streiken.

Unsere Forderungen sind alles andere als überzogen – für den Großteil der Beschäftigten wollen wir 500 Euro mehr im Monat, als soziale Komponente und zur Sicherung der unteren Einkommensgruppen. Wir haben in den letzten Jahren – während der Zeit der hohen Inflationsraten – komplett mit einem überaus schlechten Tarifabschluss aushalten müssen. Nun müssen die Bedingungen im TdL endlich verbessert werden. Zumal die Beschäftigten von Bund und Kommunen bereits einen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst erzielt haben, mit dem sie im Vergleich zu uns im TdL 400 Euro mehr verdienen. Diese Ungleichbehandlung macht uns wütend. Und diese Wut bringen wir mit den Streiks zum Ausdruck.

UZ: Im öffentlichen Dienst der Länder gilt die Mobilisierung für Streiks oft als schwierig, in vielen Bereichen ist der Organisationsgrad eher gering. Wie sieht es bei euch aus? Ihr habt doch bereits im letzten Jahr eine harte Auseinandersetzung im Kampf für den Tarifvertrag Entlastung geführt und gestreikt. Lassen sich die Kolleginnen und Kollegen denn jetzt schon wieder für einen Tarifkampf motivieren?

Iris Tanner: Der Mobilisierungsgrad im Gesundheitswesen ist wirklich größtenteils mager. Wobei es durchaus Kliniken gibt, die das Gegenteil beweisen. Aachen ist ein Standort, der erst seit einiger Zeit beginnt, sich besser aufzustellen und Gewerkschaft zu leben. Aber wir stehen hier immer noch am Anfang und wenige aktive Kolleginnen und Kollegen versuchen, sowohl vor Ort als auch systemisch die Beschäftigten für die Stärke der Gewerkschaft zu mobilisieren. Gelingen tut uns das in Aachen leider nur bedingt. Warum es gerade hier so schwierig ist, würde ich wirklich gerne wissen. Andere Kliniken haben sich ebenfalls neu aufgestellt und konnten viele Kolleginnen und Kollegen mobilisieren. Aber ein Problem ist sicherlich der moralische Druck, dem wir konstant ausgesetzt sind – sowohl von Seiten der Arbeitgeber, aber auch von der Presse und der Gesellschaft. Denn wenn wir nicht arbeiten, sind wir plötzlich wichtig. Dann sterben angeblich massenhaft Menschen, weil Personal fehle, wenn wir streiken. Es ist nicht immer leicht, mit diesem Druck umzugehen.

In dem langen Streik für den TVE haben wir es geschafft, uns davon frei zu machen. Wir haben gemerkt, dass wir gemeinsam stark sind und unsere Arbeitsbedingungen ändern können. Das war eine wichtige Erfahrung. Leider hat dies nicht dazu geführt, auch in den nächsten Auseinandersetzungen genau so weiterzumachen – viele Beschäftigte sind streikmüde, die Arbeitsbedingungen sind immer noch nicht gut und die Anforderungen steigen immer weiter. Einigen fehlt zurzeit schlicht die Kraft, sich für den nächsten Arbeitskampf aufzuraffen.

UZ: Du sagst, die Arbeitsbedingungen seien noch immer nicht gut. Wie sind eure Erfahrungen mit der Umsetzung des Tarifvertrags Entlastung?

Iris Tanner: Die Umsetzung des TVE kann kaum als Umsetzung bezeichnet werden. Eigentlich sollte ein Tarifvertrag ja rechtsgültig und bindend sein – davon sind wir weit entfernt. Der Personalschlüssel wird nicht eingehalten, dafür müssten Betten gesperrt werden. Dies wird seitens des Arbeitgebers jedoch rundweg abgelehnt. In vielen anderen Bereichen ist ebenfalls ein Stellenaufbau vereinbart worden, doch hier bräuchten wir verwertbare Vergleichszahlen, die nur bedingt zur Verfügung gestellt werden.

Die Umsetzung erfolgt also sehr schleppend bis gar nicht – das führt zu großer Frustration. Licht am Horizont gegen dieses Verhalten ist die Einführung der schichtgenauen Abrechnung mit einem IT-System, das hoffentlich bis Mitte nächsten Jahres implementiert wird. Denn wenn weiter Personal fehlt, dann sind immerhin freie Tage für die Beschäftigten als Kompensationen vorgesehen und eine „Bestrafung“ des Arbeitgebers für schlechte Personalakquise.

UZ: Was braucht es in dieser Tarifrunde, um die Personalnot zu lindern?

Iris Tanner: Für diese Runde ist eine Gleichbehandlung zum Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst zwingend erforderlich. Wir fordern ja noch nicht mal mehr. Wenn das nicht vereinbart wird, werden viele Kolleginnen und Kollegen kündigen, denn die Wut darüber ist riesig.

Mir geht es auch so. Warum arbeite ich in der universitären Maximalversorgung mit extrem hoher Belastung und Dienstintensität und verdiene 400 Euro weniger? Ich will mir gar nicht ausmalen, welche Ausmaße die drohende Abwanderung von Personal annehmen würde.

Es braucht darüber hinaus dringend die Umsetzung des TVE und mehr als nur Floskeln, um unsere Arbeit anzuerkennen. Es wäre ziemlich schlau, diese Perspektive jetzt schon mit reinzubringen, aber davon scheinen die Arbeitgeber weit entfernt.

Die Fragen stellte Lars Mörking

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"„Plötzlich sind wir wichtig“", UZ vom 24. November 2023



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