Rechenbeispiele moderner Raubritter

Plünderung der Staatskassen

Von Christine Christofsky

Sind eigentlich gut bezahlte Finanzbeamte aus den höheren Diensten dümmer bei der Anwendung von Steuergesetzen als die vielleicht noch besser bezahlten Knechte der Finanzindustrie? Oder sitzen die wirklichen Experten in den Banken und die Laien im Finanzministerium?

Mitnichten! Das moderne Raubrittertum heißt Kapitalismus. Hier die neue/alte Story:

Eine Aktiengesellschaft zahlt pro Aktie eine Dividende von beispielsweise 10 Euro. Ausgezahlt werden nur 7,50 Euro, der Rest, also 2,50 Euro, geht als Steuer an das Finanzamt. Anders als an den privaten Besitzer – der von den 2,50 Euro nichts mehr wiedersieht – zahlt das Finanzamt an den institutionellen Anleger (Banken, Fonds, Heuschrecken etc.) auf Antrag diese 2,50 Euro Kapitalertragsteuer zurück. Hier kommen die sogenannte „Leerverkäufe“ ins Spiel, das war lang geübte Praxis.

Vor dem Dividendenstichtag verkauften Banken (genannt werden u. a. Commerzbank, Hypo-Vereinsbank, HSH-Nordbank, Landesbank Baden-Württemberg und sicher noch viele mehr) Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende, die sie gar nicht hatten, vor dem Dividendenstichtag an Finanzhaie wie den Besitzer einer großen Drogeriekette Erwin Müller, an Carsten Masch­meyer oder Schalke-04-Boss Clemens Tönnies (nur einige Beispiele), denen diese Aktien aber erst nach dem Dividendenstichtag gutgeschrieben wurden. Das ist erst einmal legal.

Doppelte Nicht-Besteuerung

Bank A kauft nach der Dividendenzahlung die betreffenden Aktien auf dem Markt, jedoch zu einem niedrigeren Preis, da sie nach der Ausschüttung zu „Ex-Aktien“ wurden, weil die nächste Dividendenzahlung ja erst in einem Jahr erfolgen wird.

Bank A verkauft also Cum-Aktien (die sie nicht besitzt) an Finanzjongleur B, die Gutschrift der Aktien erfolgt z. B. drei Tage nach der Dividendenzahlung. Bank A bekommt 25 Prozent Steuerabzug, also 2,50 Euro je Aktie, worüber sie eine Steuerbescheinigung erhält. Sie beantragt und erhält Steuerrückzahlung (institutioneller Anleger).

Auch Finanzdienstleister B erhält von seiner Depotbank eine Steuerbescheinigung. Nun sind jedoch die „Cum-Aktien“ nach der Dividendenauszahlung zu „Cum-Ex-Aktien“ geworden, da nach der Dividendenzahlung der Preis einer Aktie fast immer sinkt, und die „Ex-Aktie“ jetzt nicht mehr 10 Euro wert ist, sondern nur noch 9 Euro.

Bank A zahlt Käufer B einen Ausgleich von 1 Euro je Aktie. Die restlichen 1,50 Euro werden geteilt zwischen A und B. Und auch Finanzhai B erhält auf Antrag die Steuerrückerstattung vom 2,50 Euro, obwohl er keine Steuern gezahlt hat. Die Rückzahlung erfolgte also zweimal.

Löchrige Regulierung

Das waren keine Einzelfälle. Diese „Geschäftsmodelle“ waren seit Jahren und Jahrzehnten geübte Praxis. Und es geht nicht um ein paar hundert Aktien, sondern um Milliardenwerte.

Das Karussell drehte sich im Laufe der Jahre immer schneller. Immer mehr Banken, immer mehr Leerverkäufe. Der Schaden für die Allgemeinheit: geschätzte ca. 12 Milliarden Euro.

Die Rolle der Politik? Finanzminister Eichel und Steinbrück sahen tatenlos zu. Jahrelang. Unfähig oder absichtlich? Soll noch geklärt werden, ein Bundestagsausschuss ermittelt.

2007 endlich wollte die Regierung etwas dagegen tun. Die Finanzlobby witterte Morgenluft. Deutsche Bank und Bundesverband der Deutschen Banken schrieben einen Gesetzentwurf, um „Cum-Ex-Geschäfte“ zu unterbinden – aber nur für den inländischen Markt. Dieser Entwurf wurde fast wörtlich als Gesetz beschlossen. Mehrere hohe Beamte im Bundesfinanzministerium sollen „Honorare“ von Kanzleien kassiert haben, die im „Cum-Ex-Geschäft“ fleißig mitmischten (es wird noch ermittelt).

Dann aber ging die Post erst richtig ab, denn mittlerweile hatte auch die eine oder andere Bankfiliale in Kleinkleckersdorf begriffen, wie man Millionen-Profite machen konnte. Das neue Schlupfloch? Für den Leerverkäufer Bank A einfach eine ausländische Depotbank zwischenschalten. Die Aktiengesellschaft zahlte die volle Dividende von 10 Euro aus, die ausländische Depotbank muss ja keine deutschen Steuern eintreiben. Diese Depotbank stellt nun dem Anleger B eine Steuerbescheinigung aus. Die Steuerrückzahlung wurde eingestrichen, obwohl überhaupt keine Steuern gezahlt wurden.

Aber diesmal „schaltete“ der Gesetzgeber sich schon nach fünf Jahren ein. 2012 wurde beschlossen, dass die Kapitalertragsteuer von der Depotbank des Verkäufers Bank A einbehalten und bescheinigt werden muss.

Cum-Cum-Geschäfte

Doch das Märchen von 1001 Steuertricks ist noch nicht zu Ende. Jetzt geht es um „Cum-Cum-Geschäfte“, die zwar nicht so lukrativ für die Finanzdienstleister sind, aber „Kleinvieh macht auch Mist“.

Das geht so: Einem ausländischen Aktienbesitzer werden die 25 Prozent Kapitalertragsteuer, die von der ausschüttenden AG einbehalten wurden, nicht zurückerstattet. Allenfalls teilweise. Kurz vor Auszahlung der Dividende „verleiht“ ein Aktienbesitzer aus welchem Ausland auch immer seine Aktien an eine deutsche Bank. Die muss dafür Steuern zahlen, bekommt sie aber erstattet. Diese 25 Prozent werden zwischen dem deutschen Geldinstitut und dem ausländischen Aktienbesitzer geteilt.

Ist das nun legal? „Ja“ sagt Deutschlands Finanzminister Schäuble. Immerhin versucht man, solche Geschäfte zu erschweren. Gerade ist ein Gesetzentwurf „in der Mache“, der besagt, dass eine Rückzahlung der Kapitalertragsteuer nur dann möglich ist, wenn die Aktie für mindestens 45 Tage vor und nach dem Dividendenstichtag vom Entleiher „gehalten“ wird.

Die hinterzogenen Steuern wurden jedoch wegen Personalmangels nicht konsequent eingetrieben. Nur „Cum-Ex-Geschäfte“ über 75 000 Euro wurden geprüft.

Die „Experten“ der Banken sitzen sicher schon wieder in den Startlöchern, um neue Gesetze mit neuen Schlupflöchern zu konstruieren. Schließlich ist die Gewinnung von Maximalprofiten im Kapitalismus Gesetz – kriminelle Methoden schrecken sie nicht.

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"Plünderung der Staatskassen", UZ vom 8. Juli 2016



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