Die Bahn muss Versäumnisse der Vergangenheit bewältigen

Richtige Weichenstellung

Zur Situation der Beschäftigten und der ökologischen Ausrichtung der Deutschen Bahn sprachen wir mit Rainer Perschewski. Unser Gesprächspartner ist Betriebsratsvorsitzender in der Zentrale der Bahnhofsgesellschaft der DB AG und Mitglied des Bundesvorstandes der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft.

UZ: Am 26 Mai haben sich der Bund, die Deutsche Bahn, die Gewerkschaft EVG und der Konzernbetriebsrat bei der Bahn zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise bei der Deutschen Bahn zu bewältigen. In der verabschiedeten Erklärung wird den Beschäftigten Sicherheit und Stabilität für ihre Arbeitsplätze und Berufsperspektiven versprochen. Im Vorfeld wurden Befürchtungen über geplanten Personalabbau bei der Bahn laut. Wie steht es um die Arbeitsplätze bei der Bahn?

Rainer Perschewski: Wir haben in den letzten Jahren einen deutlichen Personalaufbau gehabt und konnten auch sehr gute Tarifverträge hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung durchsetzen. Vor dem Hintergrund des drastischen Rotstiftkurses und der Auseinandersetzungen damit in den letzten Jahrzehnten seit der Bahnreform haben wir aber auch sehr gute Regelungen der Beschäftigungssicherung. So wäre ein Kurzarbeitergeld bei der Bahn von vornherein auf 80 Prozent aufgestockt worden und faktisch fast auf 100 Prozent des Nettogehaltes. Beschäftigte, die länger als zwei Jahre im Konzern sind, können bei Arbeitsplatzwegfall nicht gekündigt werden.

Dennoch war die Anspannung sehr groß, als der Bund als Eigentümer deutlich machte, unter welchen Bedingungen er die krisenbedingten Ausfälle bei der Bahn ausgleichen will. Ich hatte schon die Befürchtung, dass jetzt wieder alles von vorne losgeht. Und das gerade jetzt, nachdem erstmalig die Regierungsparteien eingestanden hatten, dass öffentlicher Verkehr nicht nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten sei. Auch in der Klimadebatte wurde die Bedeutung des Schienenverkehrs für die Entlastung hervorgehoben. Selbst im Corona-Lockdown zählten wir plötzlich als „systemrelevant“. Mit den im Mobilitätsbündnis gemachten Festlegungen sehe ich die Gefahr eines drastischen Personalabbaus jetzt nicht mehr.

UZ: In dem Papier ist allerdings von „kostensenkenden Maßnahmen im Personal- und Sachaufwand“ die Rede, auch heißt es, dass die Verwaltung „schlanker und effizienter“ organisiert werden soll. Schrillen da nicht Alarmglocken?

Rainer Perschewski: Natürlich, um diese Punkte drehte sich auch die Diskussion in den Bundesvorstandssitzungen der EVG. Nur ist es so, dass gleichzeitig erreicht wurde, dass es keinen Personalabbau geben soll. Auch die Rekrutierung von Personal soll weitergehen. Das wäre vor dem Hintergrund der in den letzten eineinhalb Jahren vereinbarten Investitionen in den Schienenverkehr komplett kontraproduktiv, vor allem weil es darum geht, Versäumtes nachzuholen. Kostensenkende Personalmaßnahmen gibt es in großen Unternehmen auch unterhalb von Personalabbau oder gar von Lohnkürzungen. Zum Beispiel: Wenn ich eine konsequente Steuerung des Abbaus von Mehrleistungen betreibe oder dafür sorge, dass Urlaub auch tatsächlich im Kalenderjahr genommen wird, gibt es dort eine Entlastungsreserve von einigen hundert Millionen Euro. Als Betriebsräte drängen wir jedes Jahr schon allein zum Schutze der Beschäftigten darauf, dass hier konsequenter gesteuert wird. Oder wir haben derzeit Organisationsänderungen laufen, die die Strukturen im Betrieb neu aufstellen.

Eine der begonnenen Maßnahmen ist unter anderem, dass Führungspositionen reduziert werden. Das sind Maßnahmen, die keinem weh tun, und unter dem Strich hast du trotzdem Kosten eingespart. Wir haben aber auch durch die technische Entwicklung ein Rationalisierungspotential, das ausgesteuert werden muss. Durch unsere Tarifverträge müssen die Gewinne, die daraus erwachsen, aber auch für Qualifizierung des Personals eingesetzt werden.

Schließlich werden Umstrukturierungen auch in neuen Arbeitsformen stattfinden, so dass sich auch hier Potential heben lässt. Es ist für die Interessenvertretungen ein Haufen Mehrarbeit, so was zu organisieren, aber alles noch in Bereichen, die zwar Auseinandersetzungen bedeuten, aber da baue ich auf unsere Organisationsmacht. Ich möchte aber auf einen Punkt kommen, der in solchen Debatten immer gerne schräg dargestellt wird: Verwaltung ist zwar der Überbau, aber nicht zwangsläufig Wasserkopf. Der massivste Personalaufbau bei uns sind Architekten, Ingenieure und Fachspezialisten, ohne die wir beispielsweise Baumaßnahmen gar nicht durchführen können.

UZ: Der drastische Fahrgastrückgang der letzten Monate hat dem Konzern immense Verluste gebracht. Wie hoch sind diese und wer soll sie bezahlen?

Rainer Perschewski: Ich habe als Betriebsrat einer Bahngesellschaft nur bedingt Einblick in die Konzernfinanzen. Aber nach dem, was unsere Aufsichtsratsmitglieder und die Medien berichten, sagen die Berechnungen nach dem derzeitigen Stand einen zweistelligen Milliardenbetrag voraus. Der Bund hat zugesagt, dass er hiervon 80 Prozent ausgleichen wird. Da könnte ich es mir einfach machen und sagen: Der Bund wird es zahlen. Falls du aber meinst, wo das Geld herkommen soll und wer es letztlich bezahlt, denke ich, dass hierüber via die Gewerkschaften eine Debatte um eine Reichensteuer geführt werden muss. Letztlich leben wir in einem der superreichsten Länder der Erde, wo sich das Vermögen in den Händen weniger bündelt. Ich erhoffe mir und werde mich dafür einsetzen, dass auch in meiner Gewerkschaft die Verteilungsverhältnisse thematisiert werden.

UZ: Durch unterlassene Investitionen in der Vergangenheit und die notwendigen Ausgaben für die Modernisierung braucht die Bahn große Summen, um ihre Zukunftssicherheit gewährleisten zu können. Steht dieses Geld zur Verfügung?

Rainer Perschewski: Vor dem Krisenbeginn wurden Verträge geschlossen, die eine massive Steigerung der Investitionen des Bundes in die Schieneninfrastruktur vorsehen. Der Bund hat zugesagt, dass diese Verträge eingehalten werden. Damit stehen etwa 86 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren nur für Instandhaltungs- und Ersatzinvestitionen zur Verfügung. Das ist eine gewaltige Summe, die den von mir eben erwähnten Personalaufbau zur Folge hat.

Es reicht aber nicht, um den Investitionsstau durch die früheren Streichungsarien richtig abzubauen. Dazu bedarf es mehr. Und wenn die gesellschaftliche Debatte von der Bedeutung des öffentlichen Verkehrs nicht nur Gerede sein soll, dann muss eine Umsteuerung in der Verkehrspolitik erfolgen: Weniger Individual- und Güterverkehr auf der Straße und Verlagerung auf die Schiene.

UZ: Die Umsetzung des Bündnisses soll durch tarifliche Vereinbarungen abgesichert werden. Wer sitzt da am Tisch und wann sollen sie beginnen?

Rainer Perschewski: Die Verhandlungen beginnen zeitnah in den nächsten Wochen. Im Bundesvorstand haben wir darüber diskutiert und deutlich gemacht, dass es keine Eingriffe in bestehende Reglungen geben darf. Am Tisch sitzen die Tarifparteien und niemand sonst. In der EVG werden wir dazu aber auch Mitgliederdiskussionen führen. Hierzu gibt es bereits viele Ansagen.

UZ: Wie hat sich die Aufspaltung der Bahn in zahlreiche Tochtergesellschaften beziehungsweise die Privatisierung von Teilbereichen in der Krise ausgewirkt? Wird das zum Anlass genommen, diese Entwicklungen wieder umzukehren?

Rainer Perschewski: Das ist eine sehr schwierige Diskussion. Ich denke, dass die Aufspaltung eine Maßnahme war, um Personal abzubauen und Verschiebebahnhöfe einzurichten. Für die Arbeitsorganisation kann eine Organisation in Geschäftsfelder sogar sinnig sein – wenn man es konsequent durchzieht. Viel wichtiger ist die Frage, wie das Unternehmen wirtschaftsrechtlich aufgestellt ist. Da denke ich, dass wir weg müssen von rein privatrechtlichen Strukturen, hin zu gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Strukturen. Da schließe ich aber den gesamten Schienenverkehr in Deutschland ein und nicht nur die Deutsche Bahn AG.

Das Gespräch führte Werner Sarbok

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"Richtige Weichenstellung", UZ vom 5. Juni 2020



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