Zur Auslegung öffentlich-rechtlicher Mediengrundsätze

Se­ri­ö­se Recherchen

Als Vorsitzender der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba hatte ich vor einigen Jahren die Gelegenheit, im „WDR 5“-Radio über die Realitäten eines blockierten, auf sozialistischem Entwicklungskurs befindlichen Staates aus der schlecht genannten „Dritten Welt“ zu informieren. Natürlich nicht ohne gut vorbereitete, kritische Nachfragen des Moderators, denn dreißig Minuten vor einer halben Million Hörerinnen und Hörer von „WDR 5“ wird man gewiss nicht völlig allein gelassen.

Dennoch war es ein lobenswerter wie seltener Moment, bei dem sich ein öffentlich-rechtliches Medium seines – vom Bundesverfassungsgericht konkretisierten – grundgesetzlichen Auftrags erinnerte, nach dem „alle in Betracht kommenden Kräfte im Gesamtprogramm zu Wort kommen können“. In den „ARD“-Grundsätzen vom September 2013 heißt es zur Programmgestaltung unter anderem: „Die Angebote und Programme der ARD (…) berücksichtigen die Bedürfnisse von Mehrheiten und Minderheiten.“ Sie „haben der Allgemeinheit einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Die ARD soll hierdurch die internationale Verständigung (…) fördern.“ Den Umstand, dass dann und wann solche Kräfte in Betracht kommen, die im Programm ein anderes Bild verbreiten als es Freunde Kubas tun, könnte man noch sportlich nehmen, wenn das nicht gefühlt (und gezählt) in über 99 Prozent der Fälle so wäre – wenn auch nicht alle Berichte grundschlecht sind.

Ein allerdings recht perfides Feature von Peter B. Schumann über den „Widerstand der Kunst“ lief am 14. November, also passenderweise am Tag vor den krachend gescheiterten „Massenprotesten“ auf Kuba, ebenfalls bei „WDR 5“ (abzurufen als Podcast in der Audio-Mediathek von wdr5.de). Schumann eignet sich als 68er-Altlinker besonders, weil er Radioreportagen gleichermaßen über die massenmörderischen Diktaturen Südamerikas fabrizierte wie seit einigen Jahren über „Kubas Repressionsmaschinerie“. Ursache und Wirkung und Täter und Opfer in einen Topf zu werfen ist nicht etwa widersprüchlich, sondern geübte Praxis bei hiesigen Medienschaffenden. Es fehlt der Platz, hier darzustellen, wie viele Fake-News Schumann in seinem Beitrag zusammenbastelt – belassen wir es bei dem schon tragikomisch zu nennenden Glaubensbekenntnis, das seinem Feature als Basis dienende Internetmedium „CubaNet“ aus Miami sei „für seriöse Recherchen bekannt“.

Im Unterschied zum Gespräch mit der FG BRD-Kuba bekam Schumann nicht nur doppelt so viel Zeit, sondern auch keine kritischen Nachfragen. Auch deshalb blieben in seiner Sendung die als antikommunistische Dissidenten dem sichersten Job der Welt Nachgehenden unter sich. Außer dass sie keine Kolumbianer sind – also medial existieren – ist ihnen gemeinsam: Sie sind in der Selbstdarstellung Journalisten oder Künstler. Für Erstes reichen Internettexte, für Zweites hilft ein Status als Rapper oder als Pinselkundiger. Reicht es weder zu Schrift noch Gesang oder Malerei, geht immer noch Performancekünstler. Da beschmiert man sich in Havanna öffentlich mit Exkrementen – ein Türöffner für eine Dissidentenkarriere.

Wie schon die übergroße Mehrheit der kubanischen Bevölkerung bei Schumanns Bewertung des 11. Juli als „Volks“widerstand übergangen wird, so kommt eben auch im Kunst- und Mediensektor nicht die Mehrheit vor. Da wird der ARD-Auftrag auf etwas eigentümliche Weise befolgt: Nämlich „die internationale Verständigung zu fördern“, indem, wenn schon nicht hier, wenigstens auf Kuba die Bedürfnisse der Minderheit berücksichtigt werden.

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"Se­ri­ö­se Recherchen", UZ vom 26. November 2021



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