Skeptisch, optimistisch, stark

Olaf Matthes im Gespräch mit Martin Koerbel-Landwehr

Von Montag bis Donnerstag vermitteln zwei Schlichter im Konflikt zwischen den Vorständen der Unikliniken Düsseldorf und Essen und ver.di. Martin Koerbel-Landwehr nimmt als Vertreter der Streikenden aus Düsseldorf an den Gesprächen teil.

UZ: Ihr hattet letzte Woche ein Gespräch mit dem Gesundheits- und der Wissenschaftsministerin des Landes NRW, Karl-Josef Laumann (CDU) und Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos). Jetzt wird geschlichtet. Heißt das, dass die Landesregierung euch unterstützt?

Martin Koerbel-Landwehr: Nein, die Landesregierung hat nur das Interesse, das Thema schnell vom Tisch zu bekommen – weil sie merkt, dass unser Streik in der Bevölkerung ankommt.

UZ: Hat der Gesundheitsminister nicht ein gewisses Verständnis für eure Forderungen geäußert?

Martin Koerbel-Landwehr: Er hat geäußert, dass er versteht, dass wir den Streik nicht ohne eine Vereinbarung beenden können. Inhaltlich hat er sich sehr zurückgehalten. Er hat formuliert, dass er natürlich wisse, dass Pflegepersonal benötigt wird. Ich glaube, bei der Landesregierung ist noch nicht angekommen, dass es nicht nur um Pflegepersonal, sondern um alle Beschäftigten im Krankenhaus geht. Und Laumann hat gemeint, dass die Pläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Verbesserungen bedeuten. Wir sind da ja bekanntlich skeptisch.

UZ: Zu Spahns Gesetzesplänen gehört, dass Stellen refinanziert werden. Ist das nicht tatsächlich ein Schritt nach vorn?

Martin Koerbel-Landwehr: Das führt doch nur zu einem Wettrennen darum, wer als erstes Pflegekräfte für sich gewinnen kann. Was Spahns Gesetz nicht leistet, ist die Festlegung: Wie viel Personal muss für welche Aufgabe vorgehalten werden? Unsere Ansage ist: Wir fordern, dass z. B. auf einer Station auf sechs Patienten eine Pflegekraft kommen muss und dass Intensivpatienten im Verhältnis 2 zu 1 behandelt werden.

UZ: Die Klinikvorstände in Düsseldorf und Essen bieten eine Dienstvereinbarung mit den Personalräten an. Ihr wollt einen Tarifvertrag, also einen besser durchsetzbaren Vertrag zwischen Vorstand und Gewerkschaft. Jetzt gibt es die Idee, eine Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und Vorständen zu schließen, die aber nicht Tarifvertrag heißen soll. Läuft das auf einen faulen Kompromiss hinaus?

Martin Koerbel-Landwehr: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Es muss eine rechtssichere und verbindliche Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern sein. Darin müssen bessere Arbeitsbedingungen festgeschrieben werden und klare Verfahren, wie diese Regeln auch durchgesetzt werden.

UZ: Wie groß sind die Chancen, die du dir für eine wirkliche Entlastung ausrechnest?

Martin Koerbel-Landwehr: Wenn wir uns keine Chancen ausrechnen würden, wären wir nicht auf der Straße. Jetzt warten wir mit Skepsis die Schlichtung ab. Wir haben angekündigt: Danach werden wir mit den Streikenden das Ergebnis kritisch bewerten. Wenn die Streikenden sagen: Das ist nicht das, wofür wir auf der Straße waren, dann geht die Auseinandersetzung weiter.

UZ: Wenn diese UZ-Ausgabe bei den Lesern sein wird, werdet ihr gerade über das Schlichtungsergebnis diskutieren. Was ist das Beste, was du dir vorstellen könntest?

Martin Koerbel-Landwehr: Wir brauchen sofort mehr Personal, nicht nur bei den Pflegekräften. Und wir brauchen klare Verabredungen zum „Konsequenzenmanagement“ – das heißt, was passiert, wenn nicht genug Personal an Bord ist. Dann muss die Leistung reduziert werden,. Wenn das passiert, freue ich mich. Und wir haben eine zweite Baustelle: Die beiden Tochtergesellschaften der Uniklinik Düsseldorf kämpfen dafür, überhaupt einen Tarifvertrag zu schließen. Die beiden Minister haben gesagt, dass sie sich für die Tarifbindung der Töchter einsetzen werden, und das werden wir mit aller Vehemenz einfordern.

UZ: Die Klinikvorstände haben pro Haus sofort 30 neue Stellen ins Spiel gebracht. Welche Größenordnung stellst du dir vor?

Martin Koerbel-Landwehr: Wir haben schon vor drei Jahren deutlich gemacht, dass wir mindestens 600 zusätzliche Stellen brauchen. Wir erwarten kurzfristig – noch in diesem Jahr – eine dreistellige Zahl an neuen Stellen. Und wir meinen, dass wir mittelfristig tatsächlich im Bereich von 600 Stellen ankommen müssen, wenn wir eine vernünftige Versorgung der Bevölkerung sicherstellen wollen.

UZ: Mit dieser Forderung geht ihr in die Gespräche?

Martin Koerbel-Landwehr: Ja. Aber die Gespräche finden in mehreren Stufen statt: Zuerst reden wir über Sofortmaßnahmen in diesem Jahr. Dann darüber, was im nächsten Jahr mit der Refinanzierung durch die Bundesregierung an zusätzlichem Personal kommt. Wir werden auch über Systeme zur Personalbemessung reden. Wir wissen, dass wir nicht alles in einem Jahr durchsetzen können, aber wir wollen eine Perspektive für die Menschen schaffen, damit sie merken: Es lohnt sich, in ihrem Beruf zu bleiben, weil es besser wird. Im Moment erleben wir, dass Kollegen sagen: Es wird jeden Monat schlechter, und sie entscheiden sich als Individuum dafür, das Krankenhaus zu verlassen. Wir sagen als Kollektiv: Lasst uns gemeinsam kämpfen, damit wir mehr werden und auch in Zukunft vernünftige Arbeit leisten können.

UZ: Manche Kollegen in Düsseldorf fürchten, dass der Tarifvertrag für die Tochtergesellschaften in der Schlichtung hinten ’runterfällt. Ist diese Angst berechtig?

Martin Koerbel-Landwehr: Natürlich – unser Arbeitgeber gibt uns nichts freiwillig. Dass die Töchter keinen Tarifvertrag haben, gehört zu seinem Sparmodell. Der Arbeitgeber spart bei denen mit den geringsten Einkommen, dieses Geld kann er unter anderem für seine eigenen Gehälter und Boni einsetzen. Aber wir bemühen uns, das Thema der Tochtergesellschaften in den Mittelpunkt der Diskussion zu bringen – wir brauchen ein Ergebnis für alle Beschäftigten.

UZ: Um eure Forderungen vollständig umzusetzen, müsste die gesamte Gesundheitspolitik umgekrempelt werden. Ist das realistisch?

Martin Koerbel-Landwehr: Ich glaube, wir müssen die gesellschaftliche Debatte darum führen, dass Gesundheit keine Ware sein darf. Wir werden die Entlastung nicht überall über Tarifverträge regeln können, wir brauchen eine gesetzliche Personalbemessung in den Krankenhäusern – mit den Volksbegehren in Hamburg und Berlin und inzwischen auch in Bayern passiert da einiges. Das ist ein dickes Brett, das wir bohren wollen, aber der Optimismus ist immer noch da.

Das Wichtigste ist, dass die Kollegen in den Kliniken selbst aktiv werden. Wir müssen über unsere eigenen Interessen reden, anstatt uns durch andere Debatten ablenken zu lassen. Auch in unseren Gewerkschaften müssen wir lernen, dass es nicht reicht, im Hinterzimmer zu verhandeln. Wirksame Veränderungen können wir nur erreichen, wenn Menschen in der Auseinandersetzung in Bewegung kommen.

UZ: Was hat sich bei euch im Betrieb verändert, seit ihr angefangen habt zu streiken?

Martin Koerbel-Landwehr: Sehr viel, es finden ständig Diskussionen unter den Kollegen statt. Wir erleben, wie Menschen sich in der Gewerkschaft organisieren, zum ersten Mal streiken und feststellen: Ach, das geht ja, da passiert einem nichts. Natürlich werden die Diskussionen komplizierter je länger der Streik dauert, und wir müssen uns auch selbst fragen: Was können wir jetzt sofort durchsetzen? Dieser Streik ist eine wichtige Erfahrung, da verändert sich das Bewusstsein in den Köpfen, und das zu sehen ist auch ein schönes Erlebnis.

UZ: Habt ihr noch Kraft?

Martin Koerbel-Landwehr: Sonst wären wir nicht auf der Straße. Wir sind jeden Tag nahezu gleich viele im Streikzelt. Ja, wir haben Kraft, die Kollegen wollen das erfolgreich zu Ende bringen.

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"Skeptisch, optimistisch, stark", UZ vom 31. August 2018



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