Stuttgarter Bündnis bündelt Proteste gegen die Abwälzung der Krisenlasten

Solidarische Antworten auf die Krise

In den vergangenen Wochen sorgten die Proteste gegen die Corona-Beschränkungen bundesweit für Schlagzeilen. Organisiert von eher rechten Gruppen, Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern, „Querdenkern“, Corona-Leugnern und ähnlichen, war Stuttgart einer der „Hotspots“ dieser Kundgebungen mit zum Teil über 10.000 Teilnehmern. Sicher waren nicht nur Rechte bei den Protesten, sondern auch empörte Bürger, aber die Rechten wussten dieses Potential auszunutzen und in ihrem Sinne zu beeinflussen. Diese Proteste ebbten ab, die Teilnehmerzahlen schrumpften massiv und liefen angesichts der Lockerungen der Pandemie-Maßnahmen ins Leere. Als sich der anfängliche Organisator Michael Ballweg zurückzog, versuchte die AfD den Protest an sich zu ziehen und organisierte am Wochenende vor Pfingsten eine Kundgebung mit der Bundestagsfraktions-Chefin Alice Weidel als Rednerin. Die AfD konnte allerdings nur 100 Leute mobilisieren. Auch am Pfingstwochenende sind nur noch etwa 150 „Querdenker“ aufgetaucht.

Seit Mitte April gab es in vielen linken Gruppen Diskussionen um die Organisierung von Protesten. Bereits am 9. Mai wurde in Stuttgart eine erste Kundgebung unter dem Motto „Solidarität. Freiheitsrechte. Klare Kante gegen Rechts.“ organisiert, an der 300 Menschen teilnahmen. Zu der Bündniskundgebung luden 25 Organisationen ein, darunter DKP und ver.di Stuttgart. Im Aufruf hieß es: „Die Krisenmaßnahmen der Regierung sprechen eine deutliche Sprache. Rettungsschirme in Milliardenhöhe für Konzerne werden begleitet von der Aushöhlung der Arbeitsrechte und der Verlängerung der Arbeitszeiten. Im Fokus stehen die Profite der großen Player, nicht die ökonomische Sicherheit der Bevölkerung. (…) Wir müssen verhindern, dass die Lasten der Krise auf unseren Rücken ausgetragen werden und der Staat aufrüstet, um den Protest dagegen zu ersticken. Aber weder Verschwörungsideologien noch die Leugnung wissenschaftlicher und medizinischer Fakten sind Antworten auf die aktuelle Situation. (…) Es liegt an uns, solidarische Antworten auf die Krise zu finden und gemeinsam dafür zu sorgen, dass es eben nicht die Schwächsten sind, die jetzt die Krisenlasten tragen müssen. Unser Solidaritätsbegriff hat nichts mit den Durchhalteparolen aus dem Kanzleramt gemein. Mit Freiheit meinen wir nicht die Freiheit der Wirtschaft, Profite auf unsere Kosten zu machen, sondern uns dagegen zur Wehr zu setzen. Und wir zeigen klare Kante gegen die simplen Antworten und Versprechungen von rechts.“

Diese Kundgebung war ein erster Schritt, sich gegen die „Querdenker“ klar zu positionieren und der Abwälzung der Krisenlasten auf die Rücken der Lohnabhängigen eine Absage zu erteilen. Mitte Mai gründeten Aktivisten das Krisenbündnis Stuttgart. Mittlerweile umfasst das Bündnis 35 Organisationen, darunter Gewerkschaften, Frauen-, Umwelt- und Friedensorganisationen, linke Gruppen, Kulturvereine, Antifa, Flüchtlingsverbände. Am 30. Mai fand bereits eine 2. Kundgebung „Ihre Krise … Nicht auf unserem Rücken!“ mit knapp 400 Menschen statt.

Mit dem Krisenbündnis sehen sich die Organisatoren in Stuttgart auf dem richtigen Weg, die Proteste zu koordinieren und die inhaltliche Debatte um eine linke Strategie anzukurbeln. Weitere Proteste im Juni und Juli sind bereits in Diskussion, es wird auf eine breitere Mobilisierung und Ausstrahlung auf gewerkschaftliche und betriebliche Aktive orientiert.

Das Virus heißt Corona, die Krise ist das System

Im Selbstverständnis des Bündnisses heißt es: „Diese Verhältnisse sind nicht neu – das Virus heißt Corona, die Krise ist das System. Dessen brutale Realität ist für die meisten nicht erst seit gestern spürbar. Mit der Corona-Pandemie spitzt sich die neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte zu – wir müssen mit der größten Wirtschaftskrise seit Ende des zweiten Weltkrieges rechnen. Die massenhaften Entlassungen von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern, die Kündigungswellen in der Gastronomie oder der sich abzeichnende Stellenabbau in der Automobilindustrie sind erste Vorboten. Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse und die derzeitige ‚Krisenbewältigungspolitik’ ist unerlässlich: Gegen die Verlängerung der Arbeitszeiten, gegen die Subventionierung von Großkonzernen und gegen den Einsatz der Bundeswehr für polizeilichen Aufgaben. Widerstand ist notwendig in einem System, das auch ohne Corona auf Ausbeutung und Ungleichheit basiert. Ein System, in dem Rassismus zur Tagesordnung gehört. …Wir müssen jetzt in Aktion treten. Die politische Linke hat es viel zu lange versäumt, auf diese Krise des Kapitalismus zu reagieren und praktische Antworten zu entwickeln. Wir wollen nicht die Welt vor Corona zurück, sondern uns auf den Weg machen, eine bessere Alternative zu schaffen. Eine Alternative ohne Ausbeutung und Unterdrückung, eine Gesellschaft, in der die Wirtschaft den Menschen dient und nicht umgekehrt.“
Weitere Infos gibt es hier. 

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"Solidarische Antworten auf die Krise", UZ vom 12. Juni 2020



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