Treffen der russisch-chinesischen Strategieplaner in Moskau

Strategische Feinabstimmung

Die Protagonisten gehören nicht gerade zu den bekannten Frontleuten des Politikgeschäfts. Dennoch ist ihr Einfluss kaum zu überschätzen. Ende Mai traf sich Yang Jiechi, Politbüromitglied und Direktor der außenpolitischen Kommission beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), mit dem Sekretär des russischen Sicherheitsrats Nikolai Platonowitsch Patruschew in Moskau. Es war das 16. Treffen im Rahmen der regelmäßigen chinesisch-russischen Sicherheitskonsultationen.

Der chinesische Topstratege Yang Jiechi war einem größeren Publikum bekannt geworden, als er beim Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken und US-Sicherheitsberater Jacob Sullivan in Anchorage die routinemäßigen Anwürfe der US-Diplomaten kühl zurückwies und Letztere beschied, sie seien nicht in der Position, mit der Volksrepublik China aus einer Position der Stärke zu reden. Yang hatte etliche Jahre in Britannien und den USA gelebt und dort studiert und galt lange als eher westorientiert. Dem ehemaligen KGB-Offizier Patruschew dagegen können beim besten Willen keine naiven Illusionen in „westliche“ Rhetorik nachgesagt werden. Er gehört zum inneren Zirkel des russischen Präsidenten und gilt ebenso wie sein chinesischer Counterpart als einer der strategischen Planer mit einem weiten Horizont. Seit Wladimir Putins Vision von einem prosperierenden Eurasien „von Lissabon bis Wladiwostok“ vom Westen brüsk zurückgewiesen wurde und China durch Obamas „Wende nach Asien“ als Gegner ins Visier der US-Strategen zu geraten begann, zerbröckelten bekanntlich in den eurasischen Hauptstaaten alle Hoffnungen, mit dem Imperium und seinen Vasallenstaaten irgendwie gütlich ins Geschäft kommen zu können. Peking und Moskau wurde klar, dass die Angriffe des „Westens“ an Aggressivität zunehmen würden und dass sie diese nur gemeinsam überstehen könnten.

Das Treffen Yang-Patruschew ist Ausdruck dieser strategischen Kooperation. Wenige Tage zuvor hatten Wladimir Putin und Xi Jinping weitreichende Abkommen über nukleare Zusammenarbeit erzielt, welche beispielsweise die Lieferung und den Bau von vier neuen Atomreaktoren der „dritten Generation“ durch Russland beinhaltet. Der Nukleardeal gilt als der größte im Bereich der energetischen Zusammenarbeit der beiden Staaten. Die vier Reaktoren werden eine Leistung von 37,6 Megawatt bereitstellen. Zum Vergleich: Die gesamte installierte Kraftwerksleistung der Bundesrepublik liegt bei 219 Megawatt. Die gegenwärtig in China betriebenen 49 Nuklearreaktoren produzieren etwa 5 Prozent der chinesischen Kraftwerksleistung. Die russisch-chinesische Zusammenarbeit gilt als ein zentraler Baustein bei den Bemühungen, den hohen fossilen und atomaren Energiebedarf der Volksrepublik sanktions- und krisensicherer zu machen. Sanktions- und krisensicherer gilt es vor allem auch die russischen und chinesischen Währungssysteme zu machen. Eine Blockade durch das US-dominierte SWIFT-System, wie sie nun immer intensiver diskutiert wird, würde katastrophale Auswirkungen haben. Russland und China arbeiten seit Jahren intensiv an Alternativen zu SWIFT und Dollar.

Yang und Patruschew besprachen nicht nur das Treffen in Anchorage und das Lawrow-Blinken-Treffen in Reykjavik – es ging auch um die Covid-19-Problematik, den US-Abzug aus Afghanistan und den Israel-Palästina-Konflikt. Vor allem aber bereiteten sie das Biden-Putin-Treffen vor, das am 16. Juni in Genf stattfinden soll. Das G7-Treffen in London Anfang Mai hatte die Anti-China/Anti-Russland-Strategie des „Westens“ nochmals bekräftigt. Auch der Truppenaufmarsch im Baltikum, die Kriegsspiele in der Ukraine, der „westliche“ Flottenaufmarsch im Südchinesischen Meer sowie die Aufrüstung der Separatisten auf Taiwan lassen keinen Platz für Illusionen. Die militärische Kooperation, die durch eine verstärkte Zusammenarbeit im All ergänzt werden soll, erhält dadurch deutlich höhere Priorität. Yang-Patruschew sind sich natürlich darüber im Klaren, dass die erstaunlich milden Töne aus Washington in Richtung Moskau der Versuch sind, die Distanz zwischen den eurasischen Mächten im alten Kissinger-Stil wieder zu vergrößern – wie es in den 1970er Jahren schon einmal geglückt war. Gelänge das noch einmal, wäre es ebenso fatal für Eurasien und die Welt wie es damals der Fall war. Dem entgegen steht das Treffen Putin-Xi, welches möglicherweise am 1. Juli, dem 100. Gründungstag der KPCh, stattfindet und das sich ebenso auf der Agenda der beiden Strategie-Berater befindet und das zu einem Erfolg gemacht werden soll.

Die Chancen für einen erneuten Erfolg von „Teile und herrsche“ sind begrenzt. Die ökonomische und militärische Stärke der eurasischen Mächte ist mit jener der damaligen sozialistischen Staaten nicht zu vergleichen. Und auf der anderen Seite kann das völlig überschuldete, korrupte und zerfallende US-Imperium keinem nüchternen Beobachter mehr den Glamour des „American Way of Life“ vorgaukeln. Die USA halten für ihre Vasallen kein attraktives Angebot mehr bereit. Das haben die Europäer oder die QUAD-Staaten (neben den USA Japan, Indien und Australien) schon zu spüren bekommen und es wird noch schmerzhafter werden, wenn sie sich in eine weitere sinnlose Konfrontationspolitik drängen lassen.

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"Strategische Feinabstimmung", UZ vom 11. Juni 2021



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