Die Filme von Ingmar Bergman, kritisch gesehen

Szenen bürgerlicher Ehen

Von Herbert Becker

Das Ingmar Bergman Archiv

Taschen-Verlag Köln, 2018,

452 Seiten, gebunden, 60,- Euro

Vor 70 Jahren erarbeitet sich Ing­mar Bergman mit den beiden Filmen „Gefängnis“ und „Durst“  seine Grundhaltung und -konzeption für sein ganzes weiteres Schaffen in Film und Theater. Er fand die Themen, die für ihn bestimmend waren: Gewalt, Niedertracht und die Unmöglichkeit zu lieben. Diesen zwei Filmen folgten noch weitere 40 Filme bis 2003, vier Jahre später starb Bergman. In dieser langen Zeit inszenierte er nebenbei noch viele Stücke für das Theater, auch hier waren die Themen, ob aus den griechischen Tragödien oder denen des 19. Jahrhunderts, die immer neuen Variationen des Gleichen.

Szene von den Dreharbeiten in einem nachgebauten Zugabteil für den Film „Durst“ von 1949

Szene von den Dreharbeiten in einem nachgebauten Zugabteil für den Film „Durst“ von 1949

( Das Ingmar Bermann Archiv, Taschen-Verlag)

Den Film „Szenen einer Ehe“, der dem vorliegenden Text seine Richtung gegeben hat, produzierte  Bergman 1973 für das schwedische Fernsehen, diese Fassung war insgesamt 282 Minuten lang und wurde in sechs Teilen ausgestrahlt, eine Kinofassung wurde von ihm auf 170 Minuten geschnitten. Vordergründig eine banale Geschichte: Marianne und Johan werden uns vorgestellt als ideales schwedisches Paar der Jetztzeit. Nachdem Johan sich in eine andere verliebt und auszieht, ist die Ehe am Ende. Beide schaffen es jedoch, über die Jahre eine freundschaftliche Beziehung zu pflegen, treffen sich wiederholt, versuchen zu verstehen, was mit ihnen geschehen ist.

Eine wenig aufregende Szenerie, zwei Menschen in einer „bessergestellten“ sozialen Lage sprechen sechs mal 50 Minuten lang miteinander. Aber alles Sprechen hilft nicht, sie pflegen ihre Vorurteile, zeigen ihren Mangel an Einsicht, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem, was „draußen“ passiert. Das ist beschämend, ebenso ihr Egoismus und ihre gewollte Unwissenheit. Wenn der Zuschauer nicht längst ausgestiegen ist, bleibt die kritische Frage: Wollte Ingmar Bergman uns vorführen, wie perspektivlos und irregeleitet ein Mann und eine Frau leben, die aus dem Kreislauf des Immergleichen nicht herauskommen? Die optimistische Hoffnung, die der Zuschauer hegen mag, wird enttäuscht, denn Bergman begann mit seinen Filmen so wie  endete. Er ist pessimistisch, sein Frauenbild ist geprägt von dem dualistischen Konzept der „Femme fatale“ und der „reinen, weißen Frau“.

Ich mag nicht psychoanalytische Deutungsversuche aufnehmen, ob da Rückzüge in die Traumata der eigenen Kindheit, die strenge, religiös begründete familiäre Situation, Gewalterlebnisse (er war ein junger Mann, während der Faschismus in Europa wütete) oder auch Gewaltphantasien seine Vorstellungen von menschlichen Beziehungen prägten. All dies kommt nur einer unerträglichen bürgerlichen Moral zugute: Der Künstler lebt, indem er schafft! Dies ist dann der romantische Entwurf eines Künstlerlebens, begleitet von narzisstischer Selbstbespiegelung und einem mangelhaften Kontakt mit dem politischen und sozialen Leben in einer Gesellschaft. Die Arbeitswelt kommt entweder gar nicht oder nur am Rande vor und wird überhaupt nicht in die Handlungsabläufe einbezogen.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel entwickelte mit seinem Konzept des „unglücklichen Bewusstseins“ die Entfremdung zur notwendigen Begleiterscheinung in der Veräußerlichung unseres Selbst. Hegel ist der Auffassung, dass wir unsere Welt nur begreifen können, indem wir unser Selbst als Maßstab für die Wahrnehmung heranziehen,das heißt, unser Selbst aus unserem Inneren heraus ins Äußere richten. Damit entfernten wir uns zwar ein Stück weit von uns selbst, aber in der Selbst-Distanz gewinnen wir die Herrschaft über die Objekte im Umfeld unseres Lebens. Diese ganz der Aufklärung verpflichtete Sichtweise, eine Kulmination des deutschen Idealismus, hatte aber den entscheidenden Nachteil, keinen Boden unter den Füßen zu haben.

Karl Marx kam im Band III des „Kapital“ zu einer historisch-materialistischen Begründung der Entfremdung: „Das Kapital zeigt sich immer mehr als gesellschaftliche Macht, deren Funktionär der Kapitalist ist und die in gar keinem möglichen Verhältnisse mehr zu dem steht, was die Arbeit eines einzelnen Individuums schaffen kann – aber als entfremdete, verselbständigte gesellschaftliche Macht, die als Sache, und als Macht des Kapitalisten durch diese Sache, der Gesellschaft gegenübertritt.“ Bereits in den „Pariser Manuskripten“ von 1844 hieß es ähnlich: „Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber.“ Es ist nur ein kurzer Gedankenschritt zu der Auffassung, dass zur gesellschaftlich notwendigen Arbeit nicht nur die Produktion von Waren gehört, sondern auch die Arbeit an den Beziehungen der Menschen in einer Gesellschaft. Dabei ist ganz wesentlich, dass, was wir unter Reproduktionsarbeit verstehen, also die Hilfe und Unterstützung, die Menschen ihrem Nachwuchs angedeihen lassen ebenso wie die Hilfe und Unterstützung, die Schwachen und Kranken gegenüber geleistet wird, in das Verständnis von Arbeit aufgenommen wird. Unverständlich ist, dass für Bergman Familienkonstellationen mit Kindern oder jungen Menschen nicht vorkommen, wenn, dann sind die Kinder längst erwachsen, selbst unfähig zu sozialer Kommunikation und entwickeln Abscheu und Abstand zu ihren Eltern. Die selbstgewählte Reduzierung seiner Filme auf nicht funktionierende menschliche Zweisamkeit wird zur Sackgasse.

Ingmar Bergman verstand die Zuflucht, die Menschen in einer Religion suchen, als von Kirchen und ihren Amtsträgern geleistete Unterdrückung. Der Satz von Karl Marx, dass „Religion der Seufzer der bedrängten Kreatur ist“ und es von daher Aufgabe sei, diese Seufzer anzuerkennen und nach den Ursachen zu fragen, die dazu führen, war Bergman fremd.

Bei ihm lässt sich sehr deutlich feststellen, dass eine rigide narzisstische, ja pathologische Ich-Störung entschlüsselt werden kann, die sich zum Beispiel in seinem inszenierten „perfekten“ Auftreten, auch seiner „Noblesse“ zeigen, dabei klagte Bergman über Schlafstörungen und Albträume. Der englische Psychoanalytiker Donald W. Winnicott spricht davon, dass für solche Personen die Notwendigkeit der Etablierung einer derartigen Fassade mit seinem „falschen Selbst“ in Zusammenhang gebracht werden muss.

Auch „Szenen einer Ehe“ ist, wie alle Bergman-Filme, linear erzählt. Rückblenden oder auch Montagen sind für ihn kein Stilmittel, verständlich für jemanden, der die Theaterarbeit mochte. Auf der Bühne sind Raum und Zeit nur als Kontinuum darstellbar. Dies hat jedoch Auswirkungen auf Bergmans filmische Ästhetik, er selbst meinte, „Ich habe wohl nur Komödien über eheliche Beziehungen gemacht, dabei ist meine Vorstellung, dass es eine Bosheit gibt, die sich nicht erklären lässt. Vor nichts haben Menschen so große Angst wie vor der unbegreiflichen, unerklärlichen Bosheit“. Ein solches Menschenbild kommt nicht vom Fleck, es verharrt im Gefängnis des Irrationalen. Ausbrüche sind höchstens Gewaltexzesse, meist aber bleibt es Grau in Grau.

Es lohnt dennoch, sich mit den Filmen von Bergman zu beschäftigen, um ein Gespür dafür zu bekommen, was der bürgerlichen, vom kapitalistischen Krebsgeschwür befallenen Gesellschaft fehlt. Es lohnt sich auch deshalb, um das Nachdenken darüber voranzutreiben, wie eine Gesellschaft gestaltet werden muss, die die Beziehungen zwischen den Menschen, auch die Liebesbeziehungen, die jedermann und jedefrau eingehen mag, freundlich aussehen lässt.

Im Taschen-Verlag erschien Ende letzten Jahres eine Neuausgabe des „Ingmar Bergman Archiv“, eine voluminöse, reich bebilderte Gesamtdarstellung seiner Filme und seiner Theaterinszenierungen.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Szenen bürgerlicher Ehen", UZ vom 8. März 2019



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