Was ein Friedenspreis über die bürgerliche Klasse sagt

Teilen und herrschen

Von Herbert Becker

Der Vorsteher des Vereins, Heinrich Riethmüller, mit Sebastião Salgado (r.)

Der Vorsteher des Vereins, Heinrich Riethmüller, mit Sebastião Salgado (r.)

( Tobias Bohm/Börsenverein des Deutschen Buchhandels)

Zur politischen Kultur der herrschenden Klasse zählen Veranstaltungen, die der Verständigung über den ideologischen Kampf dienen. Also Ehrungen, Preisverleihungen, Konferenzen und Tagungen. Alljährlich ist der Branchenverband der Buchwirtschaft aufgefordert, dazu einen eigenen Beitrag zu leisten. Der „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“, ausgelobt seit 1950, wird für diese politisch-ideologische Auseinandersetzung eingesetzt. Aufregungen über Reden einzelner Preisträger – wie der Martin Walsers 1998 – gehören zum Geschäft, Lob und Tadel des bürgerlichen Feuilletons über die Jury-Entscheidung füllen alljährlich die Meinungsspalten.

Nach der diesjährigen Bekanntgabe überwog das Lob: Zum ersten Mal erhielt ein Fotograf den Preis, der Brasilianer Sebastião Salgado wurde für seine jahrzehntelange handwerkliche und künstlerische Arbeit in allen Teilen der Erde ausgezeichnet. Die feierliche Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche am letzten Sonntag war ein typischer Ausdruck in Gestaltung und Durchführung, in Laudatio und Dankrede: Weihevoll und würdig, ohne Orgelbrausen, aber andächtig, mit Amtskette und dezenten Abzeichen am Revers. Die Urkunde auf feinstem Büttenpapier gedruckt und in edles Leder eingebunden. Ein Gottesdienst ohne Gott, aber mit Hohenpriestern. Verkündet wird das Hohelied auf die Menschenwürde, die Toleranz, die Freiheit und das Miteinander. Wenn „Religion der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände“ ist (Karl Marx), dann drängt sich mir der Eindruck auf, dass solche sich aufgeklärt, liberal und unreligiös gebenden Veranstaltungen ein schwacher Versuch sind, sich die gesellschaftlichen Zustände zu erklären.

Wim Wenders, deutscher Filmregisseur, nutzte seine Laudatio dazu, um den „Frieden“ herbeizuwünschen: „Heute rangiert Frieden zwar immer noch hoch auf der Liste der Neujahrswünsche, aber im Alltag und in der Politik ist er meist zur Worthülse verkommen. Andere Konflikte und Probleme haben sich in den Vordergrund geschoben, wie die Klimakatastrophe, die jegliche Zukunft auf dem Planeten verdunkelt, wie die gewaltigen Völkerwanderungen und Fluchtbewegungen, die uns gerade hier in Europa in den Grundfesten erschüttern, wie Ungerechtigkeit, Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit, die unsere sozialen Gefüge aus den Angeln heben.“ Später verrät seine Wortwahl, wie sehr die religiösen Denkmuster immer noch greifen. Er beschwört „Es kann keinen Frieden geben, ohne dass wir die Schönheit und Heiligkeit unserer Erde achten“.

Sebastião Salgado, ein ehrenhafter Mann, leistet das, was erwartet wird. Er will seinen Preis teilen, mit den „Betroffenen von Hungersnöten, Dürrezeiten, Klimawandel und Abholzung“, teilen will er auch mit „den Flüchtlingen, den Toten, aber auch den Überlebenden, die niemals vergessen werden, was sie erlebt haben“. Und auch mit einer dritten Gruppe will er den Preis teilen, nämlich mit den „indigenen Völkern in Nord- und Südamerika, von Alaska bis Argentinien, die eine der größten demographischen Kata­strophen der Geschichte erleiden“.  „Es sind Überlebende der Vorgeschichte der Menschheit.“

Ehrenvolle Absichten, von Empathie und Betroffenheit geprägte Sätze. Teilen ist eine schöne Geste, hat aber auch etwas mit einem Ablasshandel zu tun. Nicht unterstellen will ich, dass Salgado keine Erkenntnisse gewonnen hätte, die weit über das hinaus gehen, was er dort sagte, die auch gründlicher und präziser sind als diese Mahnungen an die „Menschheit“. Zum herrschenden „Comment“, dem Einhalten geschriebener und ungeschriebener Regeln, gehört jedoch, die Stimmung nicht zu verderben, Unbequemes freundlich zu verpacken. Auch gehört es sich nicht, Ross und Reiter zu nennen: Die unvorstellbaren Leiden, der Hunger, die Krankheiten, Tod und Vertreibung werden dann zu apokalyptischen Bildern, die Ausrottung ganzer Völker und die Zerstörung großer Gebiete, die Verseuchung von Flüssen und Meeren kommen über die Menschen wie die Plagen des Alten Testaments. Von Verantwortlichen, die man mit Namen und Adressen nennen kann, von Industrie-, Pharma- und Agrarkonzernen mag man nicht reden, von der politischen Kaste, die umsetzt, was gewünscht und gefordert wird, keine Rede. Gewünscht wird zwar energisches Handeln, die dafür notwendigen Akteure, die arbeitenden Menschen, werden jedoch nicht in den Blick genommen.

Lieber verstreut sich die festliche Menge, für die geladenen Gäste und die, die auf Spesen zahlen können, gibt es danach ein feines Essen im „Frankfurter Hof“. In unseren Breitengraden geht man nach dem Gottesdienst entweder in die Kneipe, den Puff oder zum heimischen Braten.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Teilen und herrschen", UZ vom 25. Oktober 2019



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