Unsere Zeit ist da

Hans-Peter Brenner • Auch ein müder Kommunist sagt die Wahrheit

Hans-Peter Brenner ist stellvertretender Vorsitzender der DKP

Hans-Peter Brenner ist stellvertretender Vorsitzender der DKP

Ein Nachbar, höherer Beamter in einem Ministerium der Düsseldorfer Landesregierung, von seiner politischen Grundeinstellung im Prinzip „grüner“ Liberaler, den ich nach längerer Zeit auf der Straße treffe, kommentiert die aktuelle Situation kurz vor der Bundestagswahl lakonisch so: „Mehltau hängt über dem Land“. Nach dem politischen Wechsel zu „Schwarz-Gelb“ am Rhein sprechen für ihn alle Zeichen für eine gleiche Konstellation auch in Berlin. Aber vielleicht gebe es auch eine Weiterführung der „GroKo“. Einen inhaltlichen Unterschied vermag er nicht zu sehen. Die „SPD-Granden“ seien bereit für ihren Postenerhalt jeden Kompromiss einzugehen und jede Kröte zu schlucken. Merkel sei in einer absolut komfortablen Situation, sie könne mit mehreren Bällen gleichzeitig jonglieren. Was immer auch letzten Endes rauskomme, die nächste Kanzlerschaft unter Angela M. sei „gesetzt“. Und mit Martin Schulz sei es ganz sicher nach dem 24. 9. wieder vorbei.

Dass die DKP wieder auf dem Stimmzettel steht, hat er mitbekommen. Er findet das sympathischer als unsere jahrelange Nichtkandidatur. „Das wurde höchst Zeit. Man würde euch sonst bald endgültig vergessen.“ Viel „bringen“ werde es natürlich nicht. Aber er wünsche mir persönlich „nicht zu viel Frust“ am Wahlabend.

Ich beruhige ihn. Ich sei frusterprobt und hätte einige Tage vorher als Nummer 4 auf der Landesliste NRW der DKP im Interview, das der WDR mit allen Kandidaten geführt hat, zu Beginn gleich erklärt, dass ich schon deshalb nicht in die Verlegenheit käme, als womöglich ältester gewählter Abgeordneter die konstituierende Sitzung des nächsten Bundestages eröffnen zu müssen. Mit einem kommunistischen Nachfolger für Clara Zetkin als Alterspräsidentin des damaligen Reichstages werde es wohl sowieso nichts.

Mein Statement beim WDR sollte eigentlich sarkastisch klingen, und auch die folgenden vier Minuten, die mir für die Beantwortung von 25 Fragen zur Verfügung standen, wollte ich nicht so bierernst über mich ergehen lassen. Im Wettkampf mit dem laufenden Uhrzeiger diesen Fragenkatalog durchzuhecheln, den sowieso niemand in vier Minuten vernünftig beantworten konnte, hielt ich für verlorene Zeit. Stattdessen argumentierte ich zu den Schwerpunkten Kinderarmut, Armut im Alter, Rentenbeschiss und gegen Bundeswehreinsätze.

Vor allem betonte ich, dass die Wahl der DKP eine politische Demonstration sei. „DKP wählen ist wie auf eine Demo gehen“ sagte ich in die surrende Kamera. Die junge WDR-Journalistin ließ mich gewähren und unterbrach mich nicht. Vielleicht hatte sie ein wenig Mitleid mit diesem so müde wirkenden kommunistischen Kandidaten. – So nahm ich mich später bei einem Durchlauf der vier Minuten-Sendung zumindest selbst wahr.

Aber warum sollte nicht auch ein müder Kommunist eine politische Wahrheit aussprechen? Meine Patienten melden mir nach Therapiestunden oft zurück, dass ich „immer so ruhig“ und damit auf sie „beruhigend“ wirke. Hoffentlich aber verwechseln DKP-Wähler Ruhe nicht mit Resignation.

Denn wenn es etwas wirklich Entscheidendes aus diesem Wahlkampf weiterzugeben gibt, dann ist es die Erfahrung, dass sich jeder Infostand, jedes Gespräch um eine Unterschrift, jedes verteilte Wahlprogramm und auch jedes aufgehängte Plakat gelohnt hat. Auch wenn man – nicht allein wegen des Wahlkampfes – in diesen, für manche politisch so „bleiern“ wirkenden Zeiten – nicht mit einem „Linksruck“ und auch nicht mit signifikanten Stimmerfolgen für unsere Partei rechnen kann. Das Wahlergebnis sollte und wird wahrscheinlich auch nicht die herrschende Kapitalistenklasse darüber hinwegtäuschen, dass es in vielen Köpfen und Herzen rumort. Das Wahlergebnis wird dies wahrscheinlich nicht wirklich abbilden. „So wie es ist, kann es nicht bleiben“ – diese Stimmung wird aber stärker werden. Ganz egal, wie diese Wahlen ausgehen und ganz egal, ob A. Merkel als weiblicher Wiedergänger des alten Kohl dessen Kanzlerschaftsrekord einstellen wird.

Unsere Zeit wird nicht erst „kommen“. Die Zeit ist da. Antikapitalistische, kommunistische Antworten und Positionen sind gefragt. Egal wie müde man manchmal ist – oder auch nur wirkt.

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"Unsere Zeit ist da", UZ vom 22. September 2017



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