Die EU macht der Ukraine Versprechen, die sie nicht halten will

Verführerische Symbolik

Kolumne

Was tut man, wenn man etwas versprochen hat, es aber nicht zu halten gedenkt? Man lenkt ab, zum Beispiel mit theatralischer Symbolik. Ein Foto mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel, zwischen ihnen der ukrainische Präsident Wladimir Selenski, ihre Hände in der Mitte vor ihnen verschränkt: Sie sind unzertrennlich, nicht wahr? Oder ein anderes Foto, wieder das Trio aus von der Leyen, Michel und Selenski, diesmal eine EU- und eine ukrainische Fahne entfaltend, die gesamte EU-Kommission strahlend und Beifall klatschend im Hintergrund: Gemeinsam sind wir stark! Und überhaupt: Die Bilder kommen aus Kiew, unmittelbar aus dem Kriegsgebiet, in das sich die EU-Spitze, allen Gefahren furchtlos trotzend, begeben hat, um die verbündete ukrainische Regierung zu treffen: Nichts kann uns stoppen, schon gar nicht russische Bomben!

Wozu die Symbolik? Natürlich richtet sie sich, wie immer, auch an die eigene Bevölkerung. Was die EU-Kommission am Donnerstag vergangener Woche in Kiew beschloss und was von der Leyen, Michel und Selenski am Freitag auf dem Kiewer EU-Ukraine-Gipfel im Dreierformat besprachen, kostet viel Geld, das anderswo fehlt. 50 Milliarden Euro hat Brüssel der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 bereits zugesagt, zwölf Milliarden Euro allein für Waffen. Jetzt kommen neue Summen für die Instandsetzung zerstörter Infrastruktur hinzu und irgendwann steht der Wiederaufbau des Landes an: Das wird teuer. Wen man gegen Putin frieren lassen will, dem muss man Sinn geben, ermutigende Bilder. Und: Es lässt sich nicht mehr leugnen, dass die Kriegsgefahr wächst. Die EU hat mitgeteilt, zusätzlich zu den 15.000 ukrainischen Soldaten, die ihre Mitgliedstaaten gegenwärtig trainieren, weitere 15.000 ausbilden zu wollen. Immer mehr Waffen werden geliefert. Niemand weiß, ob die EU sich nicht noch direkt in den Krieg katapultiert. Die Kommission geht den Weg symbolisch, Vorahnungen und zugleich ein Vorbild gebend, voran.

Die Symbolik richtet sich zugleich an die andere Seite, an die Ukraine, denn auch dort muss die Bevölkerung – vom Krieg furchtbar geplagt – bei Laune gehalten werden. Dazu hat die EU dem Land im Juni den Status eines Beitrittskandidaten verliehen. Das reicht allerdings auf Dauer nicht aus. „Wir brauchen die motivierenden Ergebnisse der europäischen Integration“, warnte Selenski anlässlich des EU-Ukraine-Gipfels, „um zu zeigen, dass die Kraft unserer Leute auf dem Schlachtfeld und auf allen Ebenen dieses sehr schwierigen Kampfes von Europa unterstützt wird.“ Die EU-Kommission ist nun also gefragt. Das Problem: Die Union ist keine Wohltätigkeitsorganisation, sondern ein Kartell zur Durchsetzung der Interessen ihrer mächtigsten Mitglieder. Die aber wollen kein Neumitglied, das auf Jahrzehnte hin alle verfügbaren Gelder aufsaugt wie ein Schwamm, das politisch massive Mitsprache einfordert und dabei nur die US-geführte EU-Fraktion um Polen und die baltischen Staaten verstärkt. Eine EU-Mitgliedschaft ist für die Ukraine absehbar nicht drin.

Was tun? Formal haben die EU-Staaten der Ukraine vergangene Woche „beträchtliche Anstrengungen“ auf dem Weg zur Mitgliedschaft bescheinigt. Das kostet nichts – anstrengen kann sich jeder. Zur Aufmunterung der Bevölkerung ist das allerdings nicht genug. Deshalb hat von der Leyen verbal ein wenig nachgelegt und irgendwie „beträchtliche Fortschritte“ ausgemacht. In Verbindung mit theatralischer Symbolik genügt das vielleicht, um die ukrainische Bevölkerung noch eine Zeitlang bei Laune zu halten. Eine Dauerlösung aber ist das, wie jede Propagandaaktion, nicht: Händchenhaltende von der Leyens, Michels und Selenskis machen ja nicht satt. Dass die EU die Ukraine mit einer Mitgliedschaft lockt, die sie ihr auf absehbare Zeit nicht geben will, davon wird sie eine Zeitlang ablenken können. Auf Dauer aber wird das kaum möglich sein. Irgendwann steht echter Ärger ins Haus.

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"Verführerische Symbolik", UZ vom 10. Februar 2023



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