Altenpflegerin gibt Gesundheitsminister im ZDF Kontra

Verschlimmerer an der Macht

Tatjana Sambale, Altenpflegerin, Betriebsrätin und Kommunistin aus dem mittelfränkischen Schwabach, war zu Gast bei der ZDF-Sendung „Wie geht‘s, Deutschland?“. Ebenfalls eingeladen waren unter anderem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die ehemalige Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und FDP-Chef Christian Lindner.

Ein Einspieler schilderte Sambales Situation: Sie arbeitet Teilzeit als Altenpflegerin und kümmert sich zu Hause um ihre Mutter, die vor vier Jahren einen Schlaganfall erlitt, sowie um ihre 90-jährige Großmutter. Nach dem Einspieler konnte Sambale via Videokonferenz zu Wort kommen und wies auf das Hauptproblem in der Pflege hin: die Profitmaximierung der großen Konzerne.

UZ: Spahn erwiderte dir, dass es keine Profite mehr in der Pflege zu holen gäbe und hauptsächlich kleine Familienunternehmen aktiv wären. Hat er dich damit widerlegt?

Tatjana Sambale: Vor allem hat er sich damit selbst widersprochen. Spahn spricht davon, dass es ihm ein persönliches Anliegen sei, die zweistelligen Renditeraten der von mir angesprochenen Pflegekonzerne wie Fresenius, zu denen die Helios-Kliniken gehören, nicht mehr zu ermöglichen. Das ist aus seinem Mund pure Heuchelei. Umsätze und Gewinne der Konzerne zeigen, dass der Pflegemarkt in Deutschland ein höchst lukratives Geschäft ist. Seit der Pflegemarkt vor gut 20 Jahren für private Anbieter geöffnet wurde, ist er eine Lizenz zum Gelddrucken.

UZ: Nur eine bestimmte Anzahl von Pflegestellen werden von den Kassen refinanziert. So wird Profit durch Personalmangel erzeugt. Wie kann man dem entgegensteuern?

Tatjana Sambale: Das Problem ist, dass es weiterhin allein bei den Trägern und Betreibern von Krankenhäusern und Altenheimen liegt, ob sie tatsächlich zusätzliche Pflegestellen schaffen. Viel zu oft passiert eben genau das nicht, selbst bei vorhandener Refinanzierungszusage, weil eine gesetzliche Verpflichtung dazu fehlt. Das richtige Vorgehen wäre, gesetzlich zu regeln, auf wie viele Patienten und Bewohner immer – in jeder einzelnen Schicht und in jedem Bereich – verpflichtend wie viele Pflegekräfte kommen müssen. Dafür trägt dann der Träger die Verantwortung. Kann er das nötige Personal nicht vorhalten, müssen eben Betten gesperrt, Stationen geschlossen und in den Heimen ein Aufnahmestopp verhängt werden.

Das schmerzt die Träger ökonomisch. Perspektivisch werden sie so rechtlich gezwungen, mehr Personal einzustellen, einen Springerpool aufzubauen oder andere Konzepte zu entwickeln, um mit Personalausfällen umzugehen. Das ist der einzige Weg um zu verhindern, dass der Personalmangel weiterhin auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen ausgetragen wird.

Die Kolleginnen und Kollegen führen in den Kliniken aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Regelung seit Jahren harte Auseinandersetzungen um Entlastung. Sie wollen auf dem tarifvertraglichen Weg festsetzen, wie viele Leute man pro Schicht an den Betten für die Patienten braucht. Davor, diese Frage gesetzlich zu regeln, wird sich seitens der regierenden Parteien seit Jahren gedrückt, obwohl es vielen Kollegen die nötige Sicherheit zurückgäbe, ihren Beruf weiterhin, ohne Angst vor eigener Überlastung, auszuüben.

UZ: Ein weiteres Problem ist der Mangel an Nachwuchs. Giffey lobte in der Sendung die Fortschritte bei der Pflegeausbildung. Stimmst du ihr da zu?

Tatjana Sambale: Ich teile diese Einschätzung nicht. Die Leute kommen nach wie vor in ihre ersten Praxiseinsätze und erleben den abschreckenden pflegerischen Alltag in den Heimen und auf der Station. Es mangelt immer noch an einer Begleitung in der Praxis. Es als Erfolg zu feiern, für diese Erfahrungen nicht auch noch in Form von Schulgeld zahlen zu müssen, ist fast schon zynisch. Aufgrund der Be- und Überlastungssituation – schon in den ersten Praxiseinsätzen – brechen viele ihre Ausbildung ab oder arbeiten aufgrund der Zustände nicht dauerhaft im Beruf.

Die psychische Belastung ist enorm groß, da die Praxis, die man leisten muss, überhaupt nicht der gelernten Theorie entspricht. Man muss ständig Abstriche machen. Und die meisten Auszubildenden können sich bereits da ausrechnen, dass sie den Beruf unter diesen Umständen nicht jahrelang in Vollzeit durchhalten werden. Unter Teilzeitbedingungen schrumpft allerdings das auf dem Papier vorhandene Brutto-Einkommen weiter zusammen, bis am Ende Vergütungen übrig bleiben, die in den Augen vieler Kollegen oft nicht mehr sind als ein Schmerzensgeld. Viele sind nicht bereit, dafür dauerhaft ihre Freizeit und ihre Gesundheit zu opfern.

UZ: Was hältst du dann vom Vorschlag von Christian Lindner (FDP), ausländische Pflegekräfte schneller anzuerkennen?

Tatjana Sambale: Gerade in der Altenpflege wäre ohne die Unterstützung und Hilfe der ausländischen Kolleginnen und Kollegen die Arbeit gar nicht mehr zu stemmen – weder im stationären noch im ambulanten Bereich wäre das zu meistern. Ich schaue aber als Betriebsrätin immer ganz genau hin, ob die Arbeitsrechte der Kolleginnen und Kollegen dort gewahrt werden, ob Vergütung, Arbeitsverträge und Dienstpläne in Ordnung sind. Mit vielen migrantischen Kolleginnen und Kollegen wird leider ganz bewusst Schindluder getrieben in der Annahme, dass sie ihre Rechte schlechter oder gar nicht kennen.

Lindners Vorschlag stellt zudem keine dauerhafte Lösung dar. Inwiefern sollte es auch eine Lösung sein, Menschen in ihren Heimatländern abzuwerben und hier unter schlechten Bedingungen arbeiten zu lassen? Die Arbeitsbedingungen müssen sich hier verbessern, damit Leute nicht aus ihrem Beruf gedrängt werden, sondern in ihrem erlernten Beruf bleiben oder dahin zurückkehren.

UZ: Du pflegst deine Mutter und deine Großmutter zu Hause. Dobrindt will die Pflege zu Hause stärken. Wie bewertest du das?

Tatjana Sambale: Für viele Menschen ist die Pflege zu Hause ein Notnagel, weil sie ihre Angehörigen nicht ins Heim geben wollen. Um hier zu entlasten, muss zum einen die Beratung verbessert und die Hemmschwelle, professionelle Hilfe anzunehmen, abgebaut werden. Meistens pflegen Frauen ihre Angehörigen und fühlen sich dann schuldig, wenn sie Hilfe annehmen. Zum anderen muss die Situation in der stationären wie auch der ambulanten Pflege signifikant verbessert werden. Ohne ein Gefühl, dass die geliebten Angehörigen ambulant wie auch stationär gut betreut werden und nicht unter den gegenwärtigen, unwürdigen Zuständen leiden, wird sich trotz großer Worte wenig ändern.

UZ: Spahn bat dich um einen Tipp, „wo man noch drehen kann“. Du hast dann aber keine Gelegenheit mehr bekommen, ihm deine „Tipps“ mit auf den Weg zu geben. Hättest du denn welche parat gehabt?

Tatjana Sambale: Ich hätte für ihn eine ganze Liste:

  • eine verpflichtende gesetzliche Regelung zur Personalbemessung, am Bett, tagesaktuell;
  • Stopp der Privatisierungen;
  • Stopp von Klinikschließungen, die sogar während der Corona-Pandemie weitergehen;
  • Kosten- und Leistungsdruck drastisch minimieren;
  • die Fallpauschalen müssen fallen, ein kostendeckendes Finanzierungssystem muss wieder her;
  • keine weiteren Ausgliederungen im Bereich von Service, Krankentransport, Wäscherei, Küche und Ähnlichem, sondern Rückkehr von schon ausgegliederten Bereichen in den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes;
  • Hände weg von der Fachkraftsquote im Bereich der Altenpflege.

Die gesetzliche Pflicht zum Abschluss von Tarifverträgen im Bereich der Altenpflege muss nachgebessert werden, und zwar so, dass qualitative Mindeststandards eingehalten werden. Bis jetzt ist das eine reine Augenwischerei, weil immer noch Gefälligkeitstarifverträge abgeschlossen werden können. Für dumm verkauft und hingehalten wurden die Menschen in der Pflege doch nun wirklich lange genug!

Der ZDF-Beitrag mit Tatjana Sambale kann auf YouTube angeschaut werden: kurzelinks.de/sambale

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"Verschlimmerer an der Macht", UZ vom 10. September 2021



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