Zu Kinderarmut in Deutschland

Wär ich nicht arm …

Im Januar legte die Bertelsmann-Stiftung eine neue Studie mit altbekanntem Inhalt vor: Jedes fünfte Kind in Deutschland sei armutsgefährdet. Daraufhin stürmte es im Wasserglas der deutschen Medienlandschaft. Es brauche endlich eine Kindergrundsicherung – also die finanzielle Absicherung des Allernötigsten für die Schwächsten der Gesellschaft. Das damit verbundene Eingeständnis der desaströsen Verhältnisse fällt den Werteschreiern nicht auf: In einem der reichsten Länder der Welt werden seit Jahren Kindern und Jugendlichen grundlegende Menschenrechte vorenthalten.

Erfahrungsgemäß empört sich die Journaille nur kurz über das Thema, denn die europäischen Werte sind andere und müssen auch woanders durchgesetzt werden. Doch schon die weichgespülte Empörung ist zynisch.

In der Klasse meiner Tochter in Stuttgart-Feuerbach sind 20 Kinder. Davon waren also 2021 vier Kinder armutsgefährdet. Sie müssen für das Mittagessen in der Schule oder die Teilnahme an Klassenfahrten oder Ausflügen ihre Armut mit der „Bonuscard“ nachweisen. Viele haben zu Hause weder Computer noch Zugang zum Internet, so dass sie während der Lockdowns abgehängt wurden. Vier von 20 Kindern laden keine anderen Kinder zum Geburtstag ein oder können sich Geschenke für Kindergeburtstage nicht leisten. Einige dieser Kinder kommen zum Spielen gerne zu uns nach Hause. Meine Tochter wird selten von diesen Kindern eingeladen. Bei einer Familie ist das Geld so knapp, dass es nicht reicht, die kaputten Tapeten zu erneuern.

Diese Realität kommt auf immer mehr Familien zu. Derzeit sind vor allem Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern betroffen. Die Preissteigerungen des letzten Jahres, die ärmere Menschen stärker betrafen, haben die Situation verschlimmert. Da von Politikern bestenfalls Sonntagsreden zu erwarten sind, ist mit zweistelligen Zuwachsraten bei der Kinderarmut zu rechnen.

Zweistelliges Wachstum erwartet auch der Bosch-Konzern aus Feuerbach. 2022 sollen 87 Milliarden Euro Umsatz gemacht worden sein. Um die Renditeziele zu erreichen, wurden die Preise erhöht.

Ein kostenloses und gesundes Mittagessen in Kindergärten und Schulen könnte nicht nur zur Lösung des Problems Kinderarmut beitragen, sondern wäre für den Großteil der Kinder und ihre Familien eine Hilfe. Dafür hat die Stadt Stuttgart leider kein Geld übrig.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Wär ich nicht arm …", UZ vom 3. Februar 2023



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