Notstands- und Ermächtigungsgesetze in Frankreich

Was will Macron?

Von Alexandra Liebig

Wahlergebnisse der

Parlamentswahl in Frankreich

1. Wahlgang

Im ersten Wahlgang ist gewählt, wer mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen hat (Stimmenzahl mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten des Wahlkreises). Im zweiten Wahlgang, der am 18. Juni stattfindet, reicht die relative Mehrheit im Wahlkreis. Antreten kann, wer im ersten Wahlgang mindestens 12,5 Prozent der Stimmen der eingeschriebenen Wähler erhielt.

Marine Le Pen kommt mit 46 Prozent der Stimmen gegen Macrons LREM (18,4 Prozent) in die zweite Runde.

Der PS-Premier Valls trat ohne LREM-Gegner an – sie hatten verzichtet. Das gleiche gilt für die Arbeitsministerin El Khomri in Paris.

Pierre Laurent (PCF) bedauert das nicht zustande gekommene Abkommen mit „France insoumise“.

Mélenchon (FI) hat in Marseille (Bouche du Rhône) 34,3 Prozent der Stimmen erhalten, Versini von der LREM 22,7.

Ergebnis des ersten Wahlgangs (Wahlbeteiligung 48,7 Prozent):

LREM/Modem – 32,3 Prozent

LR/UDI/DVD – 21,6 Prozent

FN – 13,5 Prozent

La France Insoumise – 11 Prozent

PS/PRG/DVG – 9,5 Prozent

EELV (Grüne) – 4,3 Prozent

PCF – 2,7 Prozent

ISOPS schätzt Sitzverteilung nach zweiter Runde ein:

FI und PCF: 8 bis 18 Sitze

Vereinigte PS, Radikale u. Grüne: 20 bis 30 Sitze

LREM und Modem: 415 bis 455 Sitze

Vereinigte Rechte: 70 bis 110 Sitze

Extreme Rechte (FN): 1 bis 5 Sitze

Andere: 7 bis 12 Sitze

Am 5. und 6. Juni, nach ersten Gesprächen mit der Regierung, erhielten Gewerkschaften und Wirtschaftsbosse ein Arbeitspapier der Regierung, die 18 kommenden Monate betreffend. Es nimmt Bezug auf Globalisierung und Wandel in der Wirtschaft, und die Gewerkschaft CGT merkte an, dass es in einem Geist verfasst sei, der die Haupt­ursachen der Massenarbeitslosigkeit in den Kosten der Arbeit und in den kollektiven Garantien für die Lohnabhängigen sieht. Die Stärkung der Macht des Kapitals und mehr Flexibilität von Seiten der Beschäftigten, solle Quelle einer besseren Wettbewerbsfähigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Außerdem ist die Schwächung der Branchengewerkschaften sowie der Gewerkschafts- und Personalvertretungen vorgesehen.

Am 6. Juni wurde in der Tageszeitung „Le Parisien“ das bereits vom 12. Mai datierte Projekt Macrons zur Arbeitsreform veröffentlicht. Dies muss als Warnung verstanden werden, erfolgte die Veröffentlichung doch kurz vor der Parlamentswahl, die am vergangenen Sonntag stattfand. Unabhängig davon, ob seine Partei im Parlament die Mehrheit haben werde, heißt es, werde Macron ein Ermächtigungsgesetz per Verfügung erlassen, um ein neues Arbeitsgesetz durchzudrücken. Das sei gemäß Verfassung, Art. 38 von 1958, auch ohne Zustimmung des Parlaments über drei Monate möglich.

Selbst ein Dialog mit den Gewerkschaften, so führt „Le Parisien“ aus, sei nicht nötig, wenn „ein offenkundiger Notfall“ vorliege. Zu diesen Notfällen zählt das Projekt acht Punkte zur praktischen Alleinbestimmung der Unternehmen über die Lohnabhängigen. Die Französische Kommunistische Partei (PCF) erklärte: „Wenn ein solcher Text in Kraft gesetzt wird, erzielen (der Unternehmerverband) MEDEF und die reaktionären Kräfte den Tod des Arbeitsvertrages, der nur noch den Unternehmen obliegt und begleitet wird von alten Forderungen der Bosse zur Arbeitszeit, Gesundheit und Arbeitssicherheit.“

Premier- und Arbeitsminister dementierten gleich einen Tag später, dies sei nicht das Projekt ihrer Regierung, Gespräche mit den großen Gewerkschaften würden weiterhin geführt. Vom Premierminister Édouard Philippe ist bekannt, dass er das Parlament für „Zirkus“ hält. Die CGT zog nunmehr Parallelen zu der von Macron angekündigten beabsichtigten Verlängerung des Notstands über den 15. Juli hinaus: „Der Notstand dient definitiv mehr der sozialen Kontrolle der Bürger als dem Bekämpfen des Terrorismus.“ Es werde laut Amnesty International bisher von 639 Aufenthaltsbeschränkungen für aktive Demonstranten gegen das Arbeitsgesetz El Khomri ausgegangen. Der weitere Notstand diene der Legalisierung der Beschränkungen, der Einschränkung individueller Freiheitsrechte und des Demonstrationsrechts.

Macrons Bewegung „En Marche!“ wurde am 7./8. Mai mit etwa 80 000 Mitgliedern als Partei „République auf dem Vormarsch“ (LREM) eingetragen. Finanzier der Partei ist ein ehemaliger Generaldirektor von PNP Paribas Asset Management. PNB Paribas gehört zu den weltweit größten Banken. Die Gründung von LREM setzte der großen parteienunabhängigen Sammlung von „En marche!“ ein Ende und verlangt von ihren Mitgliedern eine Treueerklärung. Macrons Bewegung sammelte bisher alles, was rechts von Mélenchon und der Kommunistischen Partei war, teils mit traditionellen sozialdemokratischen Vorschlägen. Sie schickte die großen Parteien in die Bedeutungslosigkeit, ausgenommen „Modem“, deren Chef François Bayrou Macron sehr zeitig unterstützte.

Im Wege stehen noch Gewerkschaften und progressive Bewegungen wie „France insoumise“ um Jean-Luc Mélenchon. Nach der „Gleichschaltung“ der rechtslastigen Parteien soll nun die Zerschlagung der renitenten Gewerkschaften erfolgen. Letztlich wird es aber alle treffen.

Das Finanzkapital Frankreichs, arg angestachelt durch das deutsche Kapital und vom Wunsch, gleichzuziehen, wählte vorerst einen indirekten Weg zur Stärkung der Diktatur des Kapitals. Die französische Bevölkerung war nicht bereit, dem FN und Marine Le Pen nachzulaufen und damit einem grenzenlosen Rassismus und Chauvinismus Tür und Tor zu öffnen. Macron versprach den Rechten und den Linken das Blaue vom Himmel, als er sie in seiner Bewegung „En marche“ sammelte. Die Republik ist in Bewegung, es deutet alles auf Rückschritt hin.

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"Was will Macron?", UZ vom 16. Juni 2017



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