Oder Herrn Weidmanns Gespür für den Wind in der Politik

Zinspolitik in Notzeiten

Von Lucas Zeise

Jens Weidmann wurde 2011 von Angela Merkel zum Präsidenten der Deutschen Bundesbank ernannt, als sein Vorgänger, ein gewisser Axel Weber, nicht mehr die Entschlossenheit der Kanzlerin genoss, um in den Verhandlungen mit den Regierungschefs der anderen Eurostaaten den von ihm begehrten Posten als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zu ergattern. So wie Deutschland das wirtschaftlich mächtigste Land in der Eurozone ist, so ist die Deutsche Bundesbank größter Aktionär der EZB – mit Anspruch auf den Chefposten. Präsident der EZB wurde damals der Italiener Mario Draghi. Seine Amtszeit läuft im Oktober des Jahres aus. Es sieht so aus, als würde Weidmann sein Nachfolger.

2011 waren die Folgen der Finanzkrise noch weniger bewältigt als heute. Die Euro- und Staatsschuldenkrise trieb ihrem Höhepunkt zu. Draghi verfolgte eine im Rahmen des herrschenden Finanzsystems einigermaßen rationale Politik. Die Leitzinsen der EZB wurden auf das Notniveau von null Prozent gesenkt. Als das nicht reichte, ließ er die EZB und die sie tragenden Notenbanken im großen Stil Geld ins Bankensystem pumpen. Diese Summe beläuft sich auf etwa 2,5 Billionen (2 500 000 000 000) Euro. Der Spekulation drohte er, dass die EZB die Staatsanleihen der von der Pleite bedrohten Staaten aufkaufen werde. Erfolgreich war das insofern, als dass kein Staat pleite ging und keiner aus dem System der Währungsunion ausgeschieden ist.

Niedrigzins und Geldschwemme sind in Deutschland unbeliebt. Der deutsche Sparer leide unter den niedrigen Zinsen und das viele Notenbankgeld verschwinde in den defizitären Staatshaushalten ineffizienter Südländer, lauten die populären Vorwürfe. Die AfD wurde gegründet, als die Regierung Merkel die Kreditpakete für die Südländer (einschließlich der verheerenden Zwangsmaßnahmen) auf den Weg brachte und ansonsten die Politik Draghis tolerierte. Der Unmut der deutschen Kapitalisten und Großvermögenden erklärt sich daraus, dass sie international Nettogläubiger und daher im Gegensatz zu den Großschuldnern an höheren Zinsen interessiert sind. Jens Weidmann gab dieser Haltung die wichtigste seriöse Stimme. Er trat auch als Gutachter bei der – schließlich abgewiesenen – Klage gegen Draghis Politik vor dem Bundesverfassungsgericht auf.

In den südlichen Ländern der Eurozone war Weidmann als absoluter Hardliner dagegen verhasst. Das Ziel, an der Spitze der EZB einen originalen deutschen Vertreter deutscher Geldpolitik zu installieren, verlor angesichts dessen an Attraktivität für die mittlerweile vierte Regierung Merkel. Das änderte sich erst, weil die Personalsache EZB-Präsident mit der Suche der übrigen Spitzenpositionen in der EU zusammenfielen. Der von den konservativen Parteien zum Kandidaten für die Präsidentschaft der Kommission erkorene Manfred Weber (CSU) ist mangels Eignung offensichtlich ohnehin nicht durchzusetzen und wäre, wenn doch ernannt, eher eine Belastung für die deutsche Regierung. So scheint es plötzlich doch wahrscheinlich, dass der Franzose Michel Barnier EU-Kommissionspräsident wird. Als Gegenleistung läuft dann die EZB-Präsidentschaft auf Weidmann zu.

Der wird plötzlich sanft. Draghis Notprogramme sind plötzlich in Ordnung. Auch die Forderung, den Leitzins bald anzuheben, erklingt angesichts der düster gewordenen konjunkturellen Großwetterlage nicht mehr. Ohne Frage ist der Mann für den Posten qualifiziert. Er weiß, woher der Wind weht und wie man sich nach ihm richtet. Die andere bessere Geldpolitik war nur für den innerdeutschen populistischen Zweck bestimmt.

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"Zinspolitik in Notzeiten", UZ vom 28. Juni 2019



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