Zivilgesellschaft

Georg Fülberth über den Tod eines Siebzehnjährigen

Georg Fülberth

Georg Fülberth

In einem Regionalzug nahe Würzburg hat ein Siebzehnjähriger mit einer Axt und einem Messer mehrere Menschen schwer verletzt und wurde anschließend von Polizei erschossen. Er war ein Flüchtling, und eine Betreuerin fragte anschließend, ob es denn nicht eine andere Art gegeben habe, ihn zu stoppen. Dies wurde auch von der Bundestagsabgeordneten Künast zur Sprache gebracht, diesmal per Twitter. Sie wollte wissen, ob die Tötung die einzige Möglichkeit gewesen sei, den Täter angriffsunfähig zu machen. Auch Schüsse müssen nicht unbedingt tödlich sein. Es war von Notwehr die Rede. Der bayerische Innenminister stellte sich vor seine Beamten und der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft vor seine Kollegen.

Dies alles ist legitim: Interessenwahrung staatlicher Organe und einer Berufsgruppe, die in diesem Fall eine gefährliche Arbeit hatte. Niemand hätte in der Haut der Beamten stecken wollen. Vorschnelle Verurteilung hatte bis dahin durch niemanden stattgefunden, auch nicht durch Renate Künast. Es wird, wie in allen solchen Fällen, ja eine ordnungsgemäße Untersuchung geben, ob tatsächlich Notwehr vorlag oder die alternativlose Abwehr einer Gefahr für eine weitere von dem Täter bedrohte Person. Das wird man abwarten müssen.

Ein Teil der so genannten Qualitätsmedien sah das anders und war mit einer Vorverurteilung sofort bei der Hand. Diese richtete sich erfreulicherweise nicht gegen die Polizei, sondern unerfreulicherweise gegen die Abgeordnete Künast. Von der FAZ bis zum „Mannheimer Morgen“ teilte man ihr mit, sie habe die Klappe zu halten. Immerhin die „Frankfurter Rundschau“ gab zu bedenken, dass es nachgerade ihre Pflicht gewesen sei, ihre naheliegende Frage zu stellen. Diese ging ohnehin recht vielen vernünftigen Leuten durch den Kopf. Wir kennen es seit dem „Deutschen Herbst“ 1977: in Momenten der Panik verstehen die Mainstream-Medien sich als Teil der Staatsgewalt. Noch toller aber war es im Netz. Über Renate Künast ging ein Shitstorm nieder.

Es ist ja immer wieder von der so genannten „Zivilgesellschaft“ die Rede. Antonio Gramsci wusste genau, was er darunter verstand: sie ist ein Kampfplatz im Zwischenbereich von Staat und Ökonomie, nichts Schlechtes und nichts Gutes, sondern eine Zone, in der wie dort um die Macht gekämpft wird. Es gewinnt, wer da die Hegemonie hat. Sind die Machtverhältnisse eindeutig, drücken sie sich auch in der Zivilgesellschaft aus, unter anderem im Netz.

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"Zivilgesellschaft", UZ vom 5. August 2016



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