Düsseldorf, Essen, Homburg – was wir aus dem Kampf für mehr Personal lernen können

3:0 für die Beschäftigten der Kliniken

Von Jan von Hagen Aus Marxistische Blätter

Gekürzter Vorabdruck aus:

Marxistische Blätter 6/2018

Das Heft mit dem Schwerpunkt „Friedensfragen – Stand- und Streitpunkte“ erscheint Mitte November und kann bestellt werden unter neue-impulse-verlag.de

In den Uni-Kliniken Essen und Düsseldorf haben sich über 1 500 Beschäftigte an den zwölfwöchigen Streiks beteiligt. Was die Arbeitgeber auch versucht haben, sie kamen nicht durch. Die Kampfbereitschaft der Kolleginnen und die Solidarität aus Bevölkerung und Unterstützungsbündnissen waren großartig. In der Schlichtung wurde dementsprechend ein Streikergebnis erzielt, dass eine neue Etappe in den Kämpfen für mehr Personal und Entlastung in den Krankenhäusern einleitet:

Ab dem 1. Oktober 2018 gelten auf allen Stationen der beiden Unikliniken inklusive der Intensivstationen, in den Ambulanzen, Funktionsbereichen und OPs verbindliche Soll-Besetzungen. Damit weiß jetzt jede Pflegekraft, wie viele Kollegen in ihrer Schicht sein müssen. Diese Soll-Besetzungen werden bis zum 31. Oktober 2019 um die 140 Stellen angehoben, die als Personalaufbau erkämpft wurden, weitere 40 Stellen kommen als Kampferfolg in den nichtpflegerischen Bereichen dazu. Dieser Stellenaufbau im nichtpflegerischen Bereich (Krankentransport, Servicekräfte, Reinigung, Kita …) ist an sich schon als besonderer Erfolg der Streikenden zu werten, da die mediale Aufmerksamkeit, der politische Druck und auch die übergeordnete Strategie in ver.di sich ausschließlich auf die Entlastung der Pflegeberufe bezog. Von allen Seiten wurde prophezeit, dass es schon schwierig genug sei, überhaupt Entlastung für die Pflege durchzusetzen, da sollen die Streikenden die Verhandlungen nicht noch mit zu konkreten Forderungen für andere Berufe belasten. In den Streikzelten erfolgte auf diesen Spaltungsversuch die richtige Reaktion: Die verschiedenen Teile der Belegschaften schlossen sich noch enger zusammen und es wurden konkrete Forderungen zur Entlastung auch für die nichtpflegerischen Bereiche erarbeitet und in die Verhandlungen mit eingebracht.

Stellenaufbau

Als zweites beachtenswertes Ergebnis konnte erstmals in einem Tarifvertrag erreicht werden, dass die Verteilung der neuen Stellen mit dem Personalrat und ver.di verhandelt werden muss. Die Arbeitgeber entscheiden an diesem Punkt nicht mehr alleine, wie sie ihren Betrieb personalwirtschaftlich führen. Den erstreikten Stellenaufbau nun nicht einseitig für Leistungsaufbau oder zur Stärkung von besonders lukrativen Bereichen einsetzen zu können, sondern ihre Stellenpläne mit dem Ziel der Entlastung mit den Arbeitnehmerinnen zu verhandeln, trifft die Vorstände besonders schwer.

Nach 12 bis 18 Monaten werden die Soll-Besetzungen ersetzt durch verbindliche Regelbesetzungen, die dann einen wirklichen Zusammenhang zwischen Patientenanzahl/Arbeitsaufwand und notwendigem Pflegepersonal darstellen. Diese verbindlichen Regelbesetzungen werden durch Einführung von Personalbedarfsermittlungssystemen wie der „Leistungserfassung in der Pflege“ (LEP), der alten Pflegepersonalregelung (PPR) oder der Arbeitsplatzmethode unter Berücksichtigung der Personalstandards der medizinischen Fachgesellschaften erhoben.

Sofort Betten sperren

Die schichtscharfe Festlegung von Besetzungsstärken ist deshalb so zentral, weil ebenfalls geregelt wurde, dass bei Unterschreitungen verbindliche Konsequenzen greifen: Der Arbeitgeber muss schon bei Feststellung einer Unterschreitung in der Dienstplanung Maßnahmen ergreifen, die dazu führen, dass genug Personal vorhanden ist. Schafft er dies nicht, müssen Patienten verlegt oder nicht mehr aufgenommen werden, Betten gesperrt oder OP-Kapazitäten reduziert werden. Und wenn in der akuten Situation Personal ausfällt, muss nach drei Schichten ebenfalls das Arbeitsaufkommen reduziert werden, also wiederum die Anzahl der Patienten reduziert werden. Neu ist, dass diese Maßnahmen nicht mehr vom Vorstand beraten werden, sondern durchgeführt werden müssen.

Als weitere Sofortmaßnahmen konnte erreicht werden, dass die belastende Alleinarbeit in der Nacht mit Ausnahme von Kleinststationen der Vergangenheit angehört und auf fast allen Stationen jetzt mindestens zwei Pflegefachpersonen arbeiten. Konkret heißt dies zum Beispiel am Uniklinikum Essen, dass von bisher 22 Stationen, auf denen nachts alleine gearbeitet wurde, ab Januar nur noch fünf übrig bleiben, die deutlich kleiner als die anderen Stationen sind.

Für alle Kollegen

Die vielen mitstreikenden Auszubildenden konnten zudem durchsetzen, dass sie ab sofort nicht mehr zur Kompensation von Personalausfall missbraucht werden. Gleichzeitig konnte im Streik der Beschäftigten der Tochtergesellschaften in Düsseldorf durchgesetzt werden, dass jetzt für die dortigen 800 tariflosen Beschäftigten endlich Verhandlungen für einen Tarifvertrag aufgenommen werden.

Dieser Teilerfolg, endlich die Aufnahme von Tarifverhandlungen auch für diese Beschäftigten erzielt zu haben, war nur möglich durch die Solidarität der Streikenden untereinander und das gemeinsame Führen des Kampfes für Entlastung und ihren Tarifvertrag. Auch an dieser Stelle haben sich die Beschäftigten nicht spalten lassen und gezeigt, wie erfolgreich sie Auseinandersetzungen führen können, wenn sie Spaltungen zurückweisen und das alte Motto „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertag“ ernst nehmen.

Nur ein Meilenstein

Die gewerkschaftliche Bewertung des erzielten Ergebnisses war sehr schnell einhellig: Ein weiterer Meilenstein im Kampf um Entlastung! Die Kampfkraft und das Durchhaltevermögen der Streikenden in NRW haben sich ausgezahlt und es ist ein weiterer Schritt im langen Kampf um Entlastung gegangen worden, der wiederum andere Belegschaften für ihre Tarifauseinandersetzungen inspirieren kann, z. B. am Uniklinikum in Homburg oder in Augsburg. Und auch die Aktiven an der Charité, an den Baden-Württemberger Unikliniken und in allen anderen Kliniken, in denen bisher Tarifverträge geschlossen wurden, haben eine neue Diskussionsgrundlage für die Fortentwicklung ihrer Tarifverträge.

Trotzdem war die Diskussion über das Schlichtungsergebnis in der gemeinsamen Streikversammlung der Düsseldorfer und Essener Streikenden sehr kritisch. Knapp über 70 Prozent Zustimmung in beiden Unikliniken in NRW in der Urabstimmung dokumentieren auch, dass ein knappes Drittel der Beschäftigten nicht zufrieden ist mit dem Ergebnis und bereit war, für noch mehr Entlastung weiter zu streiken. Die Hauptkritik an der Einigung kommt aus drei Bereichen: Ein großer Teil der Streikenden aus den nichtpflegerischen Bereichen findet die erkämpften 40 Stellen für diesen Teil der Belegschaft zurecht als absolut unzureichend. Weitere Forderungen wie ein Konsequenzenmanagement auch für z. B. die Radiologie oder die Reinigung konnten nicht durchgesetzt werden. Unbefriedigend beantwortet finden viele Streikende die Frage, was sich direkt nach dem Streik, also bei Wiederaufnahme der Arbeit denn direkt konkret ändere. Die Festschreibung der Soll-Besetzungen führt in vielen Bereichen nicht zu einer kurzfristigen Verbesserung der Schichtstärken, sondern definiert zunächst eine untere Haltelinie, auf der langfristig Personal aufgebaut wird. Eine Kollegin brachte es in der Streikversammlung auf den Punkt: „Ich habe doch nicht zwölf Wochen gestreikt, um ab morgen in der gleichen Notbesetzung weiterzuarbeiten wie vor dem Streik!“

Viele solcher Reaktionen zeigen, dass das Vertrauen in langfristige Prozesse und Absichtserklärungen, etwas für die Pflege zu tun, in den Belegschaften fast restlos verspielt ist. Zu viele Politikerversprechen, zu viele Gesetzesänderungen, zu viele Ankündigungen der Klinikvorstände waren in den letzten zehn Jahren verkündet und direkt wieder gebrochen worden. Die Arbeitssituation der allermeisten Beschäftigten hat sich verschlechtert statt verbessert. Insofern gab es bei vielen der Beschäftigten auch eine ablehnende Haltung, weil die Erwartung vorherrscht, dass die Vereinbarungen von den Klinikvorständen hintergangen werden. In Summe ist das Abstimmungsresultat aber eine sehr realistische Bestandsaufnahme, die abbildet, wie katastrophal die Arbeits- und Versorgungsbedingungen in den Krankenhäusern geworden sind, dass selbst ein so weitreichender Tarifabschluss nicht dazu führt, dass direkt spürbare Entlastung in den Arbeitsbereichen eintritt.

Saarland legt nach

Besonders gespannt haben die Beschäftigten der Uniklinik des Saarlandes nach NRW geschaut. Denn nach einer Zustimmung von 97,8 Prozent der ver.di-Mitglieder für einen unbefristeten Streik an der Uniklinik Saarland in Homburg haben sich die dortigen Arbeitgeber nicht anders zu helfen gewusst, als über die NRW-Regelungen zu verhandeln und letztlich ein weitergehendes Zugeständnis zu machen, um den Streik abzuwenden. Neben den oben dargestellten Regelungen ist es in Homburg gelungen, einen individuellen Entlastungsausgleich für den einzelnen Beschäftigten durchzusetzen, der zu einer bezahlten Freischicht im Folgedienstplan führt, wenn man acht Tage in unterbesetzten Schichten „gesammelt“ hat. Alle Forderungen nach individuellen Ausgleichen, die nicht nur ver.di als Vertragspartner, sondern auch der Krankenpfleger oder die Reinigungskraft direkt und zur Not auch juristisch einklagen können, waren in der Schlichtung in NRW noch nicht durchsetzbar.

Unser Streik

In allen drei Unikliniken wird der nächste Schritt in den Auseinandersetzungen sein, die Umsetzung der Vereinbarungen durchzusetzen und die absehbaren Versuche der Vorstände zu verhindern, sie zu unterlaufen. Die Arbeitgeber haben in allen Häusern versucht, ver.di möglichst weit aus der Umsetzungskonkretisierung und Kontrolle herauszuhalten und diese Rechte den örtlichen Personalräten zu übertragen wohlwissend, dass die Durchsetzungsmöglichkeiten der Personalräte sehr begrenzt sind. Umso wichtiger wird es sein, die Belegschaft und insbesondere die Kolleginnen, die die Vereinbarung für Entlastung erkämpft haben, in die Umsetzungskontrolle einzubinden und konkrete Handlungsmöglichkeiten und Auseinandersetzungsformen z. B. der Stationsteams zu entwickeln, um Druck auf die Vorstände auszuüben, dass sie sich an die Vereinbarung für Entlastung halten. Wer sollte das besser hinbekommen als diese kämpferischen Belegschaften! Die Erfahrungen aus den Streiks lassen sich hier sicher gut übertragen: Ein Großteil der Stärke, des Durchhaltevermögens und der Solidarität der Streikenden ist nicht zufällig entstanden, sondern durch eine Streikführung, die die Beschäftigten selbst in die Hand genommen haben. In Essen und Düsseldorf war in den Streikzelten, in Gesprächen auf den Stationen und auf Demonstrationen etc. immer zu spüren, dass es der „eigene Streik“ der Beschäftigten war und dass nicht eine abstrakte Gewerkschaft ihn für sie führt. Dementsprechend ist im Streik das Verständnis und der Mut der Akteure gewachsen, sich selbstbewusst und kämpferisch in den Auseinandersetzungen mit dem jeweiligen Vorstand, den örtlichen Vorgesetzten, der Landespolitik und wo nötig auch mit der Gewerkschaft ver.di zu bewegen und für Forderungen zu streiten.

Bereit zum Konflikt

Die langen und entschlossenen Arbeitskämpfe in Düsseldorf und Essen hatten starke Auswirkungen auf die Arbeitsabläufe und in der Patientenversorgung und ebenfalls zu massiven wirtschaftlichen Einbußen bei den beiden Unikliniken geführt. Trotz dieser Faktoren und einer öffentlichen Stimmung, die die Streiks immer wieder unterstützt hat und damit auch die Vorstände unter Druck gesetzt hat, ist die „unternehmerische Freiheit“ mit den Vereinbarungen nur oberflächlich angekratzt. Aber die Beschäftigten haben im Streik wieder mal gezeigt, dass es von ihnen abhängt, ob ein Krankenhaus läuft oder nicht, und nicht von den Vorständen oder Stabsstellen. Von einem Krankenhaus, in dem die Patienten vor allem nach fachlichen Anforderungen versorgt werden und die Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen vorfinden, sind auch die Unikliniken mit ihrer Vereinbarung für Entlastung weit entfernt.

Deshalb muss die Auseinandersetzung bundesweit weitergehen. Die Gewerkschaft ver.di hat in den letzten drei Jahren das Thema „Klinikpersonal entlasten“ im Rahmen einer politischen Druckkampagne bewegt und versucht, mit betrieblichen Aktionen und vereinzelten Arbeitskämpfen Tarifverträge für Entlastung zu erreichen und den Gesetzgeber zur Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung und zu einer bedarfsgerechten Refinanzierung zu zwingen. Aber Gesundheitsminister Spahn speist die Pflegekräfte und die Patienten mit einer Gesetzgebung ab, die den Pflegenotstand und die schlechten Arbeitsbedingungen zementiert.

Vor diesem Hintergrund müssen die Kämpfe für mehr Klinikpersonal weitergehen, öffentlich, betrieblich und auch mit der Forderung nach Tarifverträgen und mit Arbeitskämpfen, um diese durchzusetzen! ver.di wäre gut beraten, eine sinnvolle Verknüpfung der Krankenhausauseinandersetzungen mit den ebenfalls notwendigen Kämpfen zur Verbesserung der Situation in den Altenpflegeheimen und z. B. den Kitas zu finden, als die Belegschaften aufzuhalten, die sich auch kämpferisch für Entlastung auf den Weg machen wollen. Die Beschäftigten sind bereit, diese Auseinandersetzung zu führen, sie brauchen aber eine Gewerkschaft, die an ihrer Seite kämpft und auch bereit ist, neue Strukturen und Wege zu finden, in denen sie unter direkter Beteiligung der Belegschaften konfliktbereit und nicht sozialpartnerschaftlich in die Auseinandersetzung geht. Patienten, Angehörige und Beschäftigte haben das verdient: Mehr von uns ist besser für alle!

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"3:0 für die Beschäftigten der Kliniken", UZ vom 26. Oktober 2018



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