Fachkräftemangel in der Pflege

Abwerben hilft nicht

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat angekündigt, im Juni gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock nach Brasilien zu reisen, um Pflegekräfte für Deutschland abzuwerben. Bezeichnenderweise, so berichtete die „Neue Osnabrücker Zeitung“, werde man „gemeinsam mit der Wirtschaft eine Anwerbe-Strategie“ umsetzen. Knapp 1,7 Millionen Pflegekräfte sind aktuell in der Bundesrepublik beschäftigt, nach unterschiedlichen Erhebungen fehlen 180.000 weitere, unter anderem in den Krankenhäusern und Seniorenzentren.

Der seit Jahren bestehende Fachkräftemangel in den Pflegeberufen droht sich noch weiter auszuweiten. Im vergangenem Jahr haben gut 52.000 jungen Menschen eine Ausbildung in der Pflege begonnen, das waren 4.000 weniger als 2021. Und weiterhin bleibt der Pflegebereich von hohen Berufsaustrittsquoten geprägt. Nach einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) verlässt fast jede oder jeder vierte der Gesundheits-, Krankenpflege- und Altenpflegekräfte ihren Beruf innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Ausbildung.

Ursache dafür ist die erhebliche körperlich und psychisch belastende Arbeitssituation. Arbeitsverdichtungen nehmen weiterhin zu, was häufig zum Ausfallen der Pausen führt. Schicht- und Wochenendarbeiten prägen den Berufsalltag, Überstunden und Einspringen verschärfen die Situation häufig unerträglich. Und wer nicht komplett aussteigen will oder kann, reduziert die Arbeitszeit. In der Altenpflege arbeiten zwei Drittel der Frauen in Teilzeit, in der Gesamtwirtschaft liegt die Quote bei knapp 30 Prozent.

Bereits im letzten Jahr berechnete die Hans-Böckler-Stiftung, dass viele qualifizierte Arbeitskräfte für die Pflege zurückgewonnen werden könnten. Bei besseren Arbeitsbedingungen gilt das für fast 90 Prozent der Ausgestiegenen und knapp 70 Prozent der Teilzeitkräfte. Über 260.000 Vollzeitstellen könnten allein durch Berufsrückkehrer besetzt werden.
Die Ampel zeigt nun mit ihrer Initiative, was sie will: Es geht ihr nicht um die Verbesserung der Arbeitssituation in der Pflege, sondern darum, zusätzliches Personal zum Verschleiß zu gewinnen. Die „Wirtschaft“ wird es ihr danken.

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"Abwerben hilft nicht", UZ vom 2. Juni 2023



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