Auch nach dem Mord an Walter Lübcke geht die rechte Hetze weiter

Als wäre nichts gewesen

Von Markus Bernhardt

Nachdem der erste Schock über die Ermordung des CDU-Politikers und Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni dieses Jahres verflogen ist, deutet einiges daraufhin, dass es zu keinem Paradigmenwechsel im Umgang der verantwortlichen Behörden mit militanten Nazinetzwerken kommen wird.

Ähnlich wie im Nachgang zu der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) mehrten sich nach der Ermordung Lübckes Statements aus der etablierten Politik, den Polizei- und Sicherheitsbehörden und Inlandsgeheimdiensten, dass der Kampf gegen rechte Gewalttäter nun endlich entschlossen geführt werden müsse. Passiert ist seit dem so gut wie nichts. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Neofaschistische Organisationen wie die Partei „Die Rechte“ missbrauchen die Ermordung des CDU-Politikers zu einer Täter-Opfer-Umkehr und versuchen, sich als die wahren Opfer einer „Anti-Rechts-Hysterie“ zu inszenieren. So wollen sie am kommenden Samstag in Kassel aufmarschieren und drohen, sollten die Behörden den Aufmarsch verbieten – was bis zum Redaktionsschluss nicht der Fall war –, „eine Demonstrationsserie im Sommer und Herbst 2019“ zu starten. Kassel „wäre zumindest nicht die erste Stadt, die sich mit irrsinnigen Verbotsversuchen ein Eigentor geschossen hätte“, so die Nazis.

Auch die AfD setzt ihren Kurs ungeachtet des Mordes fort. Der rechtsextreme „Flügel“ der Partei um Björn Höcke erstarkt weiter, und die Schnittmengen des von extremen Rechten bis tief hinein in die bürgerliche Mitte wieder als öffentlich sag- und vertretbar Geltenden, könnte mitunter größer kaum sein.

Die politische Begleitmusik zu den Tiraden der extremen Rechten besorgt indes der ehemalige Chef des Bundesinlandsgeheimdiensts. So zeigt Hans-Georg Maaßen, Mitglied der Rechtsaußen-Vereinigung „Werte-Union“ in der CDU, mittlerweile frei jedweder Hemmungen, sein wahres Gesicht. Erst am vergangenen Sonntag bezog sich Maaßen auf das rechtsextreme Portal „Journalistenwatch“ („JouWatch“) und bezichtigte die Medien faktisch einer Gleichschaltung. Bereits in der Vergangenheit war der CDU-Politiker durch Vergleiche, Propagandatricks und das Verharmlosen von Neonazis und Rassisten aufgefallen.

Selbst Parteifreunden wie etwa dem CDU-Politiker Rupprecht Polenz, der sich in der Vergangenheit stets eindeutig gegen die AfD und andere Rechte abgrenzte, geht das Treiben von Maaßen entschieden zu weit. „Und ich dachte immer, die Auswertung von Quellen und die Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit sei Kerngeschäft des Verfassungsschutzes. JouWatch ist rechtsradikal“, twitterte er. „Besorgniserregend, was für einen Verschwörungswahnsinn Maaßen teilt“, kommentierte Mathieu von Rohr, Chef des Auslandsressorts des „Spiegel“.

So lange sich jedoch Personen wie Maaßen in politischen Positionen befinden, über beste Verbindungen, Netzwerke und Geheimwissen verfügen und ihre Ergüsse und „Fake-News“ uneingeschränkt in die Welt ablassen können, verwundert es nicht, dass Neonazis und Rassisten nicht einmal dann entschieden bekämpft werden, wenn ihre Anhänger etablierte Politiker ermorden.

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"Als wäre nichts gewesen", UZ vom 19. Juli 2019



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