Die Regierungen der G7-Staaten trafen sich zum Gipfel in Italien

Aufgabe: Brandbombenwurf

In einem muss man Giorgia Meloni leider recht geben. Unter den Regierungen der G7-Staaten, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Woche im Nobelresort Borgo Egnazia in Apulien zusammenkamen, sei ihre derzeit „die stärkste“, hatte Italiens Ministerpräsidentin nach der EU-Wahl stolz erklärt; und das trifft zu. Ihre Fratelli d’Italia hatten sich auf 28,8 Prozent steigern können; die drei italienischen Regierungsparteien zusammen lagen nur knapp unter 50 Prozent. Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dagegen waren heftig angeschlagen aus der Wahl hervorgegangen. Britanniens Premierminister Rishi Sunak wird am 4. Juli aller Voraussicht nach krachend abgewählt. Japans Regierungschef Fumio Kishida hatte sich wenige Tage vor dem G7-Gipfel per Umfrage bescheinigen lassen müssen, dass die Zustimmung zu seiner Regierung mit dürren 21 Prozent so niedrig lag wie noch nie. Kanadas Premierminister Justin Trudeau wiederum, ebenfalls unpopulärer denn je, hatte schon im März per Interview erklärt, er denke „jeden Tag“ da­rüber nach, seinen „verrückten Job“ zu kündigen. Und Joseph Biden? Nun ja.

Doch auch wenn ihre Regierungen schwächeln mögen: Die G7 hätten ihre Aufgabe als Kampfbündnis der transatlantischen Weltenherrscher gegen Aufsteiger und Widerspenstige klar verfehlt, hätten sie in Borgo Egnazia nicht die eine oder andere Stink- oder Brandbombe gegen China und Russland geworfen. Im Falle Chinas konzentrierten sie sich diesmal stark auf den Gestank. Harte Fakten hatten zuvor die USA und die EU geschaffen, hatten Strafzölle auf die Einfuhr chinesischer Elektroautos verhängt beziehungsweise angekündigt sowie Sanktionen gegen chinesische Unternehmen initiiert, denen sie vorwerfen, mit der Lieferung von Dual-Use-Gütern Russlands Aufrüstung zu unterstützen. Unterbinde Peking derlei Lieferungen nicht, dann sei schon bald mit weiteren Sanktionen gegen Firmen zu rechnen, „die Russlands Kriegsmaschinerie materiell unterstützen“, drohten sie.

Konkret Brand stifteten die G7 hingegen mit ihrem Beschluss, Zinserträge aus Russlands eingefrorenen Auslandsguthaben zu nutzen, um einen 50-Milliarden-US-Dollar-Kredit für die Ukraine zu finanzieren. Damit konkretisiert sich, wenngleich die G7 gedrechselte juristische Legitimationen für ihr Vorgehen anführen, der gesetzlose Zugriff der westlichen Welt auf fremdes Staatseigentum beziehungsweise der Diebstahl auf Staatsebene. Offenes Plündern hält Einzug in das Instrumentarium des Westens im Kampf gegen seine Rivalen und Feinde. Sogar bekennende Transatlantiker halten den Schritt für riskant. Denn: Wer wird seine Reichtümer noch in Europa anlegen, wenn er damit rechnen muss, dass sie im Konfliktfall von Staaten gestohlen werden? Vor allem aber: Können jetzt auch Guthaben und Zinserträge, die deutsche Institutionen in, sagen wir, Italien oder Namibia erzielen, genutzt werden, um die Nachfahren der Opfer deutscher NS- oder auch Kolonialverbrechen zu entschädigen? Die Möglichkeit, dass die europäischen Staaten in Zukunft unerwartet für vergangene Verbrechen zahlen müssen, wird so langsam real.

Gegenwind zu den G7 kam von einem wichtigen Gast – von Brasiliens Präsident Luis Inácio Lula da Silva, den die sieben westlichen Industriestaaten zum Gipfel geladen hatten, um ihn vielleicht doch wieder in ihre Umlaufbahnen einzubinden oder ihn wenigstens zur Teilnahme an der auf den G7-Gipfel folgenden Schweizer Ukraine-Konferenz zu bewegen. Mit beidem scheiterten sie. Lula, der die Einladung an den Vierwaldstättersee ignorierte, nahm seine Rede zum künftigen Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) zum Anlass, um auf das Schicksal von Flüchtlingen aus den Staaten Afrikas hinzuweisen: Es gehe nicht an, „die kreative Stärke ihrer Jugend zu verschwenden, indem sie die Sahara durchqueren, nur um dann im Mittelmeer zu ertrinken“. Es sei endlich an der Zeit, dass „die Superreichen“ ihren „gerechten Anteil an den Steuern zahlen“, fuhr Lula in einem kleinen Rundumschlag fort; schließlich stelle „die exzessive Konzentration von Macht und Einkommen“ bei nur wenigen ein „Risiko für die Demokratie“ dar. Das durfte man wohl durchaus auch auf die globale Konzentration von Macht und Reichtum bei einigen wenigen Staaten verstehen – und als Aufruf, beides nicht länger umstandslos hinzunehmen.

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"Aufgabe: Brandbombenwurf", UZ vom 21. Juni 2024



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