DKP wehrt sich gegen Beschränkungen

Befreiung kriminell?

Michail Petrowitsch Minin, 22 Jahre, Rotarmist. Er hisste am Abend des 30. April 1945 die rote Sowjetfahne auf dem Dach des Reichstags in Berlin. Er und seine Kameraden kamen als Befreier. 77 Jahre später ist das Zeigen des roten Tuchs mit Stern, Hammer und Sichel in Berlin verboten. Nicht nur verboten: Es ist strafbar. Sagen und schreiben jedenfalls Berliner Richter am Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht in trauter Einhelligkeit mit Polizei und Ordnungsämtern der Hauptstadt.

Die DKP Berlin hatte bereits am 8. April für den 9. Mai eine Versammlung am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park unter dem Titel „Die gefallenen Soldaten ehren! Gegen Faschismus und Krieg! Hände weg vom Sowjetischen Ehrenmal!“ angemeldet. Wohl nicht ganz aus Zufall teilte die zuständige Landespolizeidirektion erst am Freitag, den 6. Mai um 12.08 Uhr mit, dass die Versammlung nur unter den Auflagen der kurz vorher erlassenen Allgemeinverfügung, die speziell für den 8. und 9. Mai geschaffen wurde, stattfinden könne. Ganz offensichtlich war es das Bestreben der Polizeibehörde, durch die späte Mitteilung den gerichtlichen Rechtsschutz zu torpedieren. Neben vielen anderen Beschränkungen wird in der sofort vollziehbaren Verfügung das Zeigen der „Flagge der UdSSR“ untersagt. Die DKP legte über Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, der die DKP 2021 erfolgreich gegen das Parteiverbot auf kaltem Wege vertreten hatte, sofort Widerspruch ein.

Im Eilverfahren lehnte das Verwaltungsgericht am Samstag den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ab, auch die hiergegen erhobene Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht wurde am Sonntag zurückgewiesen. Zentrales Argument der Verwaltungsjuristen: Wer Sowjetflagge zeigt, setzt sich unmittelbar dem Verdacht der strafbaren Billigung eines Angriffskrieges aus. Von der Flaggensymbolik gehe eine „immanente Gefahr“ aus. Denn die Sowjetflagge sei das „Surrogat“ des Sieges über den Faschismus. Zwar gebe es die Sowjetunion nicht mehr, aber eines der Kriegsziele Russlands sei die „Entnazifizierung“ der Ukraine. Soll heißen: Das heutige Russland und die Sowjetunion sind Brüder im Geiste. Sie nennen es den „direkten Bogen“. Und das bedeutet zugleich: Befreiung und Sieg über den Faschismus sind bereits Vokabeln geworden, die die „Zeitenwende“ hinter sich lassen will. Das sieht man auch daran, dass in den Entscheidungen des letzten Wochenendes die Worte befreit oder Befreiung nur noch in Anführungszeichen gesetzt werden. Sie nehmen die Symbole, verändern die Sprache und stehlen die Geschichte.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Befreiung kriminell?", UZ vom 13. Mai 2022



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