Initiative fordert Sondervermögen für Bildung und bessere Personalausstattung für Kitas und Schulen

Bildungsproteste im Anmarsch

Tim Carlitscheck

Mit wenig schmeichelhaften Worten beschrieben die Initiatoren des Appells „Bildungswende jetzt“ die Situation im deutschen Bildungswesen, als sie am 6. Juni – es war der internationale Tag des Kindes – an die Öffentlichkeit traten. Hinter dem Appell steht ein breites Bündnis von mehr als 90 Organisationen, darunter Gewerkschaften, Schülerorganisationen, Elternvertretungen sowie Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Die Initiative spricht von einer der „schwersten Bildungskrisen seit Gründung der Bundesrepublik“, die auf einen enormen Mangel an Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern trifft und „auf ein veraltetes, unterfinanziertes und segregiertes Bildungssystem, das sozial ungerecht ist“. Dieses verbaue vielen Kindern und Jugendlichen nicht nur Bildungschancen und gesellschaftliche Teilhabe, es behindere auch den Kampf gegen den Klimawandel und untergrabe das Vertrauen in die Demokratie. Kritisiert werden nicht nur die Empfehlungen der ständigen wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz vom Januar 2023, sondern auch der Bildungsgipfel im März dieses Jahres. Beides habe sich als wirkungslos oder gar schädlich zur Behebung der Probleme im Bildungsbereich erwiesen. Gerichtet ist der Appell explizit an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Bundesregierung und die Regierungschefs der Bundesländer. Kern des Appells sind vier Forderungen.

Die erste und Hauptforderung ist ein Sondervermögen Bildung in Höhe von 100 Milliarden Euro, um „notwendige Investitionen in Kita und Schule“ zu ermöglichen. Darauf aufbauend sollen jedes Jahr mindestens 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Bildung und Forschung investiert werden. Dies entspräche derzeit etwa 380 Milliarden Euro. Diese Forderung ist nicht aus der Luft gegriffen. Vielmehr entspricht sie genau dem, was Bundesregierung und Länder im Jahre 2008 vereinbart haben.

Die zweite Forderung bezieht sich auf die personelle Ausstattung von Schulen und Kindergärten. Aus Sicht der Initiatoren handelt es sich um ein besonders wichtiges Thema, denn aktuell fehlen bundesweit nicht nur 300.000 Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch zehntausende Lehrkräfte. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 über 80.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen werden. Um diesem massiven Personalmangel zu begegnen, wird nicht nur ein „Staatsvertrag Lehrkräftebildung“ gefordert, der die Bundesländer verpflichten soll, für ausreichend Lehrkräfte zu sorgen und die Lehramtsabschlüsse untereinander anzuerkennen, sondern auch eine bessere „Verzahnung des Lehramtsstudiums mit der Praxis“ und ein Plan zur Behebung des Erziehermangels.

Die dritte Forderung steht unter der Überschrift „Schule zukunftsfähig und inklusiv machen“. Die Schulen sollen mehr Freiräume für alternative Leistungsbewertung bekommen und mehr multiprofessionelle Teams. Gemeint ist, dass die Lehrkräfte von anderen Professionen wie Sozialarbeitern und Psychologen unterstützt werden. Letztere sollen in den Schulen verankert und finanziert werden. Außerdem sollen die Lehrpläne überarbeitet werden und „Freiräume für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung“ der Schülerinnen und Schüler lassen. Weiterhin soll das Thema Nachhaltigkeit stärker Einzug in die Schule halten. Zuletzt wird ein „echter Bildungsgipfel auf Augenhöhe“ gefordert, auf dem der „Aufbau eines gerechten, inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystems“ diskutiert werden soll.

Obwohl die Forderungen in die richtige Richtung weisen, bleibt vieles im Unklaren. Auch die Form des Appells bleibt ohne gesellschaftlichen Druck ein kollektives Betteln bei den politisch Verantwortlichen. Allerdings wollen die Initiatoren des Appells es nicht bei Worten belassen. Sie planen für den 23. September einen bundesweiten „Bildungsprotest“. Dieser soll vor der Kultusministerkonferenz Mitte Oktober stattfinden und Druck aufbauen. Die bundesweiten Vernetzungstreffen laufen bereits. Die entsprechenden Termine und Links sind hier abrufbar: kurzelinks.de/bildungswende

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"Bildungsproteste im Anmarsch", UZ vom 30. Juni 2023



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