Eine wichtige Zäsur auf dem Weg in den Kalten Krieg

Das Jahr 1947

Von Reiner Zilkenat

Das Jahr 1947 war ein Schlüsseljahr für die Geschichte der internationalen Beziehungen. Nur zwei Jahre, nachdem die Welt vom deutschen Faschismus und vom japanischen Militarismus befreit worden war, hatte sich der Kalte Krieg als dominierende Tendenz in der weltpolitischen Arena durchgesetzt, bestimmte er fortan die Handlungen der Regierungen und beeinflusste nachhaltig das Denken und Handeln vieler Millionen Menschen.

Ein „amerikanisches Jahrhundert“?

Bereits kurz nach der militärischen Zerschlagung des Faschismus begann die Truman-Administration damit, den Anspruch des US-Imperialismus auf die Weltherrschaft einzufordern und sukzessive durchzusetzen. Proklamiert wurde das „Amerikanische Jahrhundert“. Die militärische Basis dieses Anspruchs bildete das Atombomben-Monopol der USA, die davon ausgingen, noch für längere Zeit im exklusiven Besitz dieser Massenvernichtungswaffe zu bleiben. Notfalls „mit der Atombombe am Gürtel“ – so formulierte es Präsident Harry S. Truman – sollten die Diplomaten die Interessen des Landes durchsetzen. Insgeheim entwickelten die Stabs­chefs der US-Streitkräfte bereits seit November 1945 detaillierte Pläne für einen Atomkrieg gegen die UdSSR. Ökonomisch war der US-Imperialismus als einziges Land aus dem Zweiten Weltkrieg gestärkt hervorgegangen: Der US-Dollar war die unbestrittene globale Leitwährung, die Vorräte an Gold und Devisen erreichten nie gekannte Größenordnungen, die USA waren der mit großem Abstand bedeutendste Gläubigerstaat und der Anteil der US-amerikanischen Wirtschaft an der Weltindustrieproduktion und an der globalen Ausfuhr war größer denn je. Die Lage in den Volkswirtschaften der Sowjet­union, Großbritanniens und Frankreichs bildete hierzu einen scharfen Kontrast. Politisch waren die Vereinigten Staaten im Vorteil, weil sie ihre Wünsche und Forderungen gegenüber anderen Ländern mit Hilfe ihrer beinahe unerschöpflichen finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen flankieren konnten. Anders gesagt: Der US-Imperialismus nutzte nicht nur seine militärische, sondern auch seine ökonomische Stärke, um andere Staaten, die dringend auf Kredite sowie auf die Lieferung von Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Industriegütern angewiesen waren, politisch gefügig zu machen. Dies galt besonders, wenn es darum ging, militärische Stützpunkte im Ausland einzurichten und andere Länder zu veranlassen, in antisowjetische Bündnisse einzuwilligen oder ihre Rohstoffe auszubeuten.

UdSSR nicht erpressbar

Allerdings existierte von Beginn an ein Problem, das aus der Sicht von Präsident Truman und seiner politischen und militärischen Ratgeber dringend einer Lösung bedurfte: Die UdSSR war zwar bereit, die Zusammenarbeit mit den USA auch nach dem Krieg auf gleichberechtigter Basis fortzusetzen, sie widersetzte sich jedoch allen Versuchen der Truman-Administration, ihre Politik den Imperativen des US-Imperialismus unterzuordnen. Auch ökonomisch ließ sich die sowjetische Führung nicht ködern. Ungeachtet der Verwüstungen, die von der Nazi-Wehrmacht in mehr als drei Jahren der Okkupation angerichtet worden waren und die geradezu gigantische Anstrengungen erforderten, um die Industrie und Landwirtschaft sowie die Infrastruktur wiederherzustellen und ein normales Leben für viele Millionen Menschen zu ermöglichen, unternahmen die sowjetische Regierung und die KPdSU alles Erdenkliche, um aus eigenen Kräften das Land wiederaufzubauen. Dabei war die Notwendigkeit, das US-amerikanische Atombombenmonopol zu brechen, mit erheblichen Kosten und dem Verbrauch wertvoller Ressourcen verbunden, die für die Rekonstruktion der Ökonomie und der Infrastruktur fehlten. Mit Hilfe von zwei aufeinander folgenden Fünfjahrplänen gelang es jedoch, das Niveau der Vorkriegsproduktion zu erreichen und in wichtigen Branchen deutlich zu übertreffen sowie bereits im August 1949 den ersten erfolgreichen Kernwaffenversuch durchzuführen. Selbstverständlich war die Truman-Administration unter diesen Voraussetzungen nicht dazu bereit, dem mehrfach von der sowjetischen Führung geäußerten Wunsch zu entsprechen, den Wiederaufbau des Landes mit Dollar-Krediten zu unterstützen. Die Sowjetunion war jedoch ungeachtet ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage zu keiner Zeit willens, sich von den USA erpressen zu lassen.

Westdeutschland nach der Befreiung

Deutschland war von Beginn an eines der Hauptaktionszentren des Kalten Krieges. Hier standen sich die Streitkräfte der UdSSR und der USA sowie Großbritanniens direkt gegenüber. Hier galt es, gemäß den Beschlüssen der „Großen Drei“ von Jalta (Februar 1945) und Potsdam (Juli/August 1945), die Demokratisierung und Entnazifizierung der Gesellschaft zu realisieren, die deutsche Rüstungsindustrie zu zerschlagen sowie die Besatzungspolitik möglichst einvernehmlich durchzuführen. Mit anderen Worten: Die Politik der Besatzungsmächte in Deutschland, das Niveau ihrer Kooperation bzw. ihrer Meinungsverschiedenheiten waren wichtige Indikatoren für den Zustand der Beziehungen zwischen den USA und ihrem Juniorpartner Großbritannien einerseits und der UdSSR andererseits. Was die Stufen der Eskalation des Kalten Krieges anbetraf, so war Deutschland der Ort, an dem die USA ziemlich schnell nach Kriegsende demonstrierten, dass sie ihre Interessen ohne Beachtung der legitimen ökonomischen und Sicherheitsanliegen der Sowjetunion zu formulieren gedachten. Die UdSSR war für sie von Anfang an kein gleichberechtigter Partner, sondern ein unerwünschter Störenfried beim Versuch, die Interessen des US-Imperialismus weltweit durchzusetzen.

1947 spitzte sich der Kalte Krieg zu, er wurde endgültig zur Determinante in den internationalen Beziehungen. In Deutschland wurde dies an den Handlungen der US-amerikanischen Militärregierung deutlich, die ihre Zone zum 1. Januar 1947 mit der britischen Zone zur „Bizone“ vereinigten, wobei alle Versuche der Briten scheiterten, analog zu den Verstaatlichungen wichtiger Industriebranchen in Großbritannien, auch in Westdeutschland den Bergbau und die Schwerindustrie sowie andere Bereiche der Volkswirtschaft in staatliches Eigentum zu überführen. Zugleich wurde auf US-amerikanische Initiative die Entnazifizierung verzögert und schließlich weitgehend beendet sowie ein „Industrieplan“ beschlossen, der dem produzierenden Gewerbe einen Güterausstoß auf Vorkriegsniveau gestattete. Vor allem aber erhielt die Bizone rasch staatliche Strukturen, bestehend aus einem Parlament („Wirtschaftsrat“), einem Obersten Gericht und einer regierungsähnlich organisierten Exekutive. Eine eigenständige Währung wurde vorbereitet. In der Perspektive ging es um die Schaffung eines westdeutschen Separatstaates, der sich in der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der USA befinden sollte. Dass diese Maßnahmen den Beschlüssen der Alliierten diametral zuwiderliefen und ohne vorherige Absprachen mit der Sowjet­union verwirklicht wurden, hatte seinen Grund. Es ging den USA darum, das Besatzungsregime in Deutschland den 1947 getroffenen Beschlüssen der Truman-Administration anzupassen. Worum handelte es sich dabei?

Die „Truman-Doktrin“ und ihre Folgen

Am 12. März 1947 hatte Präsident Truman vor dem Kongress angekündigt, dass die USA fortan alle Länder politisch, ökonomisch und auch militärisch unterstützen würden, die sich gegen die angeblich expansive Politik der UdSSR wehren wollten („Truman-Doktrin“). Kurz darauf wurden die Weichen für großzügige Lieferungen von Rüstungsgütern an westeuropäische Staaten gestellt, die zu einem erheblichen Teil als „Geschenke“ offeriert wurden. Schließlich hielt der US-amerikanische Außenminister George C. Marshall am 6. Juni 1947 in der Harvard-Universität eine Aufsehen erregende Rede, in der er die Bereitschaft seines Landes ankündigte, den Staaten Westeuropas in den kommenden Jahren mit Hilfe vieler Milliarden Dollars zu helfen, den Wiederaufbau ihrer Wirtschaft zu beschleunigen. Allerdings wurden die Dollar-Milliarden hauptsächlich dafür aufgewandt, aus den USA importierte Industriegüter zu bezahlen, sie stellten also zugleich ein Konjunkturprogramm für die Volkswirtschaft der USA dar. Der Preis für diese „Hilfen“ war hoch: Er bestand letztlich darin, gemeinsam mit dem US-Imperialismus einen so genannten Atlantikpakt zu schaffen, der politisch und militärisch auf die UdSSR zielte. In Moskau war den politisch Verantwortlichen schon seit längerem klar, dass ein solches Militärbündnis nur dann erfolgreich geschmiedet werden konnte, wenn das große Industriepotenzial der Westzonen und die „militärischen Erfahrungen“ der Militärelite des deutschen Imperialismus, die zwei Weltkriege geführt hatte, in den antisowjetischen Pakt eingebracht werden konnten. Daraus wiederum ergaben sich weitreichende Konsequenzen für die Besatzungspolitik des US-Imperialismus in Deutschland.

Zum einen hatte das US-Militär bereits unmittelbar nach dem Kriegs­ende damit begonnen, Spezialisten aus der deutschen Rüstungsindustrie in die USA zu fliegen, um sich die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten, vor allem hinsichtlich der Konstruktion moderner Raketentechnik, nutzbar zu machen. Wernher von Braun und seine engsten Mitarbeiter, die Schöpfer der Raketen V-1 und V-2, sind hierfür die bekanntesten Beispiele. Zum anderen wurden zahlreiche Angehörige der Repressionsbürokratien des deutschen Faschismus insgeheim verpflichtet, ihre Erfahrungen und Kenntnisse aus dem Krieg gegen die Sowjetunion und gegen Widerstandsbewegungen in allen Teilen Europas künftig den US-Geheimdiensten zur Verfügung zu stellen. Sehr gern nahm man auch die Bereitschaft der ehemaligen Generalstabsabteilung „Fremde Heere Ost“ unter Generalmajor Reinhard Gehlen zur Kenntnis, die über das Kriegsende geretteten Unterlagen über die Verhältnisse in der UdSSR, die Karteien mit den Namen noch nicht enttarnter Agenten in der Sowjetunion sowie die Expertise der Angehörigen dieses faschistischen Geheimdienstes, den US-amerikanischen Autoritäten uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Damit nicht genug. Ehemalige Gestapo-Schergen, so zum Beispiel der berüchtigte „Folterer von Lyon“, der in Frankreich zum Tode verurteilte Kriegsverbrecher SS-Hauptsturmführer Klaus Barbie, wurden von der 1947 gegründeten CIA bzw. dem Armeegeheimdienst CIC (Central Intelligence Corps) als Experten für die „Bekämpfung des Kommunismus“ in Diensten genommen. Zugleich waren zahlreiche Generäle und Stabsoffiziere der Nazi-Wehrmacht von der US-amerikanischen Armee in einer eigens geschaffenen „Historical Division“ damit beauftragt worden, ihre Erfahrungen im Angriffskrieg gegen die UdSSR zu Papier zu bringen und daraus resultierend Strategien zu entwickeln, um eine erneut zu entfesselnde Aggression gegen den ersten sozialistischen Staat, diesmal unter der Regie des US-amerikanischen Militärs, „erfolgreich“ durchzuführen.

General Clay wird aktiv

Während diese Aktionen unter strikter Geheimhaltung vollzogen wurden, geschahen die Schritte zur Schaffung eines westdeutschen Separatstaates vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Nachdem die Stabschefs der US-Streitkräfte am 15. Juli 1947 die Direktive JCS 1779 an die Militärregierung unter General Lucius D. Clay gesandt hatten, war der Kurs für die zukünftig zu treffenden Maßnahmen in der amerikanischen Besatzungszone bzw. in der Bizone deutlich vorgezeichnet. Mit den Worten des Historikers und ehemaligen Mitarbeiters der US-Militärregierung John H. Backer: „Der Kampf um ein starkes Westdeutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus war für Clay jetzt in den Vordergrund getreten und hatte das Ringen um die Einheit Deutschlands abgelöst.“ (John H. Backer, Die deutschen Jahre des Generals Clay. Der Weg zur Bundesrepublik 1945–1949, München 1983, S. 234). Am 3. November 1947 formulierte General Lucius D. Clay in einem vertraulichen Schreiben an den stellvertretenden Kriegsminister William Draper in dankenswerter Offenheit: „Ich muss mit allem mir zur Verfügung stehenden Ernst sagen, dass 42 Millionen Deutsche in der britischen und amerikanischen Zone der stärkste Vorposten gegen das kommunistische Vordringen sind den es irgendwo gibt.“ (Ebenda, S. 235) Die Verhandlungen im Alliierten Kontrollrat wurden somit für die US-Amerikaner und ihre britischen Verbündeten während des Jahres 1947 immer mehr zu Alibiveranstaltungen, die der Weltöffentlichkeit und besonders den Deutschen eine „ehrliche Gesprächsbereitschaft“ mit den Repräsentanten der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vorgaukeln sollten. In Wahrheit war die US-amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland funktional dem Kalten-Kriegs-Kurs, der in Washington endgültig das gesamte politische Handeln bestimmte.

UdSSR warnt vor Blockbildung

Die sowjetische Führung, die alle in den Hauptstädten der USA und Großbritanniens geführten Debatten über die Konstituierung eines antisowjetischen Staatenblocks aufmerksam verfolgte, hatte frühzeitig die Weltöffentlichkeit vor einem Abgleiten in eine Periode politischer und militärischer Spannungen gewarnt. Bereits am 19. November 1945 veröffentlichte die Tageszeitung der KPdSU „Prawda“ einen Leitartikel, in dem es unter anderem hieß: „Die Lehren der Vergangenheit haben uns gemahnt, gegen Staatenblocks sehr auf der Hut zu sein. Einige der Projektemacher erklären ganz freimütig, dass ihre Pläne auf die Erzielung einer Isolierung der Sowjetunion gerichtet seien.“ Einflussreiche Kreise seien am Werk, die „über die Unvermeidlichkeit eines Krieges zwischen den Angelsachsen und der UdSSR“ redeten (Keesing’s Archiv der Gegenwart, XV. Jg., 1945, S. 437G).

Auch die Diskussionen auf den alliierten Außenministerkonferenzen in London (Juli/August 1947) und Moskau (November/Dezember 1947), denen eigentlich die Aufgabe zugedacht war, Probleme der Besatzungspolitik in Deutschland einvernehmlich zu lösen und einen Friedensvertrag mit der Regierung eines zu schaffenden einheitlichen Deutschlands vorzubereiten, konnten die US-amerikanische Haltung nicht verändern. In der Bizone, die ab 1. Januar 1949 mit der Integration der französischen Besatzungszone zur Trizone erweitert wurde, waren 1947 alle Weichen für einen westdeutschen Separatstaat gestellt worden, in dem die Monopolbourgeoisie ihre Herrschaft wieder aufrichten und durch ihre politischen Prokuristen maßgeblich die Regierungsgeschäfte bestimmen konnten. Einzelne ihrer Repräsentanten, die wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und anderer Delikte inhaftiert worden waren, befanden sich bald wieder in Freiheit und nahmen Vorstands- und Aufsichtsratsmandate wahr. Man denke nur an Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und die Topmanager der IG Farbenindustrie. Und nicht zu vergessen: Sie verdienten – schneller als sie es hätten erwarten können – von der in den fünfziger Jahren einsetzenden Wiederbewaffnung der BRD.

Als das Jahr 1947 sich seinem Ende zuneigte, war der Weltfrieden ein äußerst fragiles Gebilde geworden und die deutsche Einheit in weite Ferne gerückt. Die Weltherrschaftsansprüche des US-Imperialismus sind bis zum heutigen Tage die entscheidende Quelle für die Gefährdung des Friedens. Und wie 1947 gilt: Nur wenn alle friedliebenden Kräfte, wie unterschiedlich ihre politischen Auffassungen, ihre Religionen und Weltanschauungen auch sein mögen, vereint handeln, kann den Kriegsbrandstiftern im Weißen Haus und ihren Lakaien im In- und Ausland erfolgreich Paroli geboten werden.

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"Das Jahr 1947", UZ vom 10. November 2017



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