Tsipras will Flüchtlinge in die Türkei schicken

Deals mit Erdogan

Von Uwe Koopmann

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland sind mindestens seit der Staatsgründung (Griechenland: 1828, Türkei: 1923) ambivalent.

Die „Megali Idea“, das griechische Vordringen in die Türkei, scheiterte und endete 1922 mit der „Kleinasiatischen Katastrophe“: 1,5 Millionen Griechen wurden aus der Türkei vertrieben. Umgekehrt mussten 500 000 Türken Griechenland zwangsweise verlassen.

Beide Staaten haben umfangreiche schlechte Erfahrungen mit der Integration umgesiedelter Flüchtlinge, bei denen es sich ausschließlich um eigene Landsleute handelte. Das Verhältnis der Länder wurde mit dieser Hypothek nicht besser. Heute ist der zwischenstaatliche Konflikt vor dem Hintergrund entgegengesetzter Kapitalinteressen zu sehen: Öl und Gas in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer wecken Begehrlichkeiten. Dazu könnte für die Türkei die Verlegung der Hoheitszone nach Westen von Vorteil sein. Diese aber war 1923 im Vertrag von Lausanne so vereinbart worden, wie sie heute noch besteht. Damals schon war die 1918 gegründete KKE als einzige politische Kraft gegen die militärische Intervention und offenbarte die wahren Ziele der nationalistischen „Großen Idee“, was die griechische Bourgeoisie in Rage brachte. Ergebnis: Verhaftung des gesamten Zentralkomitees der Partei, Verfolgungen, Verbannungen, Gesetze gegen „umstürzlerische Betätigungen“.

Da ist es bei allen divergierenden Interessen – jedenfalls zurzeit – von Vorteil, wenn „an der Front“ Ruhe herrscht. Einen „Friedensbesuch“ gab es im Dezember letzten Jahres, als Recep Tayyip Erdogan nach Athen kam. Den letzten Besuch eines Staatsoberhauptes (Celal Bayar) hatte es 1952 gegeben. Für die Auguren des Treffens stand bereits vorher fest, dass es „um das Thema Migration und das Flüchtlingsabkommen mit der EU gehen“ wird (Michael Lehmann, ARD Athen). Verzögerung bei der Umsetzung des Abkommens von März 2016 warf Erdogan der EU vor. Hilfsgelder würden nicht vereinbarungsgemäß fließen. Drei Milliarden waren am 18. März 2016 vereinbart worden. Auch ging es ihm um die Auslieferung türkischer Offiziere, die sich am Putsch beteiligt haben sollen. Sie waren mit einem Hubschrauber geflohen.

Geflüchtet waren seit dem letzten Sommer auch 20.000 nach Chios, Lesbos und Samos, den Hot-Spots auf den Dodakanes-Inseln vor der türkischen Küste. Die Lager sind überfüllt, die Versorgung unzureichend, die Übersiedlung zum griechischen Festland zögerlich. Sie werden kaserniert gehalten und warten viele Monate – oft vergeblich – auf ihre Asyl-Prüfung. Griechenland ist, dank Dublin 2, überfordert.

Um die acht türkischen Militärs steht es anders. Es wurde am 29. Dezember Asyl gewährt. Einer war allerdings dagegen: Alexis Tsipras. Er wies das Gericht an, den Asyl-Entscheid aufzuheben. Begründung: „Öffentliches Interesse“. Am 15. Februar gibt es die nächste Anhörung.

Tsipras will Ruhe: Erdogan bekommt seine „Putschisten“ zurück und „schützt“ Griechenland im Gegenzug vor weiteren Flüchtlingen. Darunter sollen 1000 Türken sein. Andere Quellen sprechen von 1750 Geflohenen. Hinsichtlich der neun mutmaßlichen Mitglieder der DHKP-C übernimmt Tsipras die geheimdienstliche Zuordnung aus der Türkei, die die Organisation als terroristisch einordnet.

Bisher hieß es, die Gerichtsverfahren in der Türkei seien nicht fair. Das war sogar die Erkenntnis des Obersten Gerichts in Athen. Nun glaubt Tsipras eher dem türkischen Staatschef. Ganz anders der Verfassungsrechtler Nikos Alivizatos. Gemäß „Spiegel online“ warf er der Regierung „schockierende moralische Inkonsequenz“ vor. Ein griechischer Anwalt schlussfolgerte, dass die geflohenen Soldaten auch von einem anderen EU-Land aufgenommen werden könnten. Zum Beispiel von Deutschland. Das sieht die amtierende CDU/SPD-Regierung wohl anders: Die Jungs waren mit dem Hubschrauber ja nicht direkt nach Bayern geflogen …

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"Deals mit Erdogan", UZ vom 26. Januar 2018



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