Die ganze Macht

Beate Landefeld über Venezuela und die „Sorge um die Gewaltenteilung“

Beate Landefeld ist Redakteurin der Marxistischen Blätter

Beate Landefeld ist Redakteurin der Marxistischen Blätter

Im Juli 2017 war die Bevölkerung Venezuelas dreimal zur Abstimmung aufgerufen. Am 16. Juli veranstaltete die Wahlbehörde CNE einen Testlauf für die Wahl der Verfassunggebenden Versammlung (Constituyente), laut CNE mit einer „massiven Beteiligung“. Am gleichen Tag organisierte das Oppositionsbündnis MUD ein Votum für den Sturz von Maduro, für die Bildung einer Parallelregierung und für die Verhinderung der Wahl zum Verfassungskonvent. Bei dieser rechtlich unverbindlichen Abstimmung konnte, laut eines Tweets des Oppositionsführers Borges, „jeder teilnehmen, ob als Wähler eingeschrieben oder nicht, mit gültigem Ausweis oder ohne“. Im Anschluss verkündete die Opposition, 7,2 Millionen hätten sich beteiligt. Die Zahl ist nicht überprüfbar. Die Wahlzettel wurden laut Opposition verbrannt, „um Repressalien zu vermeiden“. Dennoch unterstellen die großen US- und EU-Medien die 7,2 Millionen als Faktum. Die US-Regierung und EU-Regierungen machen damit Politik.

Die dritte Abstimmung war die Wahl zur Constituyente am 30. Juli. Gegen sie wurde im Vorfeld weltweit mobilgemacht. US-Präsident Trump kündigte „starke wirtschaftliche Sanktionen“ an, sollte die Wahl stattfinden. Für die EU-Außenbeauftragte Mogherini erhöhte die Wahl das Risiko der Konfrontation. Die deutsche Regierung legte Maduro nahe, nach dem „überwältigenden Ausdruck des Wählerwillens“ (durch die nicht überprüfbare Oppositionsabstimmung) einzulenken und die Einberufung des Verfassungskonvents zu überprüfen. In Venezuela rief die Opposition den „Generalstreik“ aus, bildete Organe einer Parallelregierung und ging am 30. Juli mit Gewalt und Terror gegen die Wahl vor. Es half nichts. Die Wahl fand statt. Laut CNE beteiligten sich über 8 Millionen. Da man sie nicht verhindern konnte, stellte man nun die Legitimität der Wahl infrage. Trump verschärfte die seit 2014 bestehenden US-Sanktionen. Der Vatikan sprach sich gegen die Einberufung der Constituyente aus.

Für die „westliche Wertegemeinschaft“ droht mit dem Verfassungskonvent die „Diktatur“. Trump nannte Maduro einen „Diktator“. Ein Lateinamerika-Korrespondent der „FAZ“ namens Rüb befürchtet, es könnte Maduro gelingen, „nach dem Vorbild des kommunistischen Regimes in Havanna ein Stahlgitter der Unterdrückung über sein Volk zu legen und in Venezuela eine sozialistische Diktatur zu errichten.“ Die Constituyente bedrohe das Parlament als „das letzte institutionelle Refugium, aus dem die Opposition noch nicht vertrieben wurde.“ (1.8.) Laut Online-Ausgabe der „Zeit“ befürchten die „Regierungsgegner“, die per Video in martialischer Ausrüstung zu sehen sind, „ein Ende der Gewaltenteilung aus Legislative, Exekutive und Judikative.“ (5.8.)

Ist da was dran? Die Opposition ist seit 1999 kaum mit anderem beschäftigt als mit Amtsenthebungsversuchen gegen direkt gewählte Präsidenten, ob Chávez oder Maduro (= Exekutive). Ihr Putsch 2002 misslang. Seither versucht sie es mit Wirtschaftssabotage, Demonstrationen, Straßenkämpfen, mit vom Unternehmerverband gestützten Generalstreiks, mit Propaganda der Massenmedien im Privatbesitz, mit Überfällen auf Lebensmittellager und immer häufiger mit Brandstiftung und Mord. Seit der Wahl 2015 liegt die oppositionelle Parlamentsmehrheit im Dauerstreit mit dem Obersten Gerichtshof (= Judikative) und der Wahlbehörde CNE. Die CNE ist nach der Verfassung von 1999 ebenfalls eine Säule der Gewaltenteilung. Der Streit entzündete sich an drei von der CNE nicht anerkannten Parlamentssitzen. Sie gäben der Opposition die Möglichkeit, den Obersten Gerichtshof mit Richtern zu besetzen, die ihr genehm sind. Entsprechend wählte das Oppositionsparlament am 18. Juli die 33 Richter für ein Parallelgericht. Die „Opposition“ verteidigt keine Gewaltenteilung. Die Großunternehmer, Kuba-Hasser und Freunde der USA wollen die ganze Macht.

  • Aktuelle Beiträge
Über die Autorin

Beate Landefeld (Jahrgang 1944) ist Hotelfachfrau und Autorin.

Landefeld studierte ab 1968 Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität Hamburg, war Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses, Mitbegründerin des MSB Spartakus. 1971-1990 war sie im Parteivorstand der DKP, 1977-1979 Bundesvorsitzende des MSB Spartakus, später auf Bezirks- und Bundesebene Funktionärin der DKP.

Landefeld ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter. 2017 veröffentlichte sie bei PapyRossa in der Reihe Basiswissen das Buch „Revolution“.

Für die UZ schreibt Landefeld eine monatliche Kolumne.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Die ganze Macht", UZ vom 11. August 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit