Die Lösung: Revolution

Von Nina Hager

(Quelle: Manfred Kossok, In Tyrannos. Revolutionen der Weltgeschichte. Von den Hussiten bis zur Commune, Edition Leipzig 1989)

Nach 1830 schien in vielen Ländern Europas – in Frankreich, vor allem aber in den Kernländern der Heiligen Allianz, die der russische Zar mit den Herrschern Österreichs und Preußens nach dem Sieg gegen Napoleon geschlossen hatte, der Widerstand gegen Restauration und nationale Unterdrückung gebrochen. „Das Schicksal der ‚Göttinger Sieben‘, die 1837 gegen den Verfassungsbruch des Königs von Hannover protestiert hatten, bot das makabre Beispiel neu belebter Demagogenverfolgung, es verfehlte seine abschreckende Wirkung nicht. Brüssel, Paris, Südfrankreich und die Schweiz bezeichneten die Fluchtpunkte der deutschen und internationalen politischen Emigration.“ (Manfred Kossok, S. 299)

Doch die scheinbare Ruhe täuschte. Die industrielle Revolution führte nach England, auch auf dem Kontinent zu tiefen Umbrüchen in Gesellschaft und Bewusstsein. Sie erfasste – seit etwa 1830 – die fortgeschrittensten Regionen des Festlandes (über Frankreich hinaus vornehmlich die Niederlande, Belgien, Preußen, Sachsen, Norditalien, Katalonien). Es entstanden Voraussetzungen für den nach 1850 explosiv einsetzenden Übergang zum Kapitalismus der freien Konkurrenz. Parallel zu diesen Veränderungen vollzogen sich einschneidende Fortschritte in der Landwirtschaft. Wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem der Aufschwung der Naturwissenschaften, trugen zur Revolutionierung der Produktion bei. Die Veränderungen spiegelten sich auch im gesellschaftlichen Denken wider: „Die Nationalökonomie … konstituierte sich als neue Wissenschaft. Philosophie, Geschichtsschreibung und Sprachwissenschaften schärften das Verständnis für die Krisensituation und spielten, gemeinsam mit der Literatur, in der Festigung des Nationalbewusstseins der noch feudal-absolutistisch bevormundeten Völker eine außerordentliche Rolle.“ (Kossok, S. 300)

Der weitere Aufstieg des Bürgertums ließ sich in dieser Situation durch die Herrschenden zwar politisch bremsen, dagegen war die ökonomische Entwicklung durch rasche Fortschritte und Kompromisse der alten Mächte gekennzeichnet. Die vor sich gehenden ökonomischen und sozialen Umwälzungen kollidierten mit den historisch überkommenen politischen Institutionen.

Vor allem aber zeigten die Chartistenbewegung in England, die Aufstände der Seidenweber von Lyon 1831 und 1834 gegen geringe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen (1834 aber vor allem für das Recht der Arbeiter, sich in Arbeiterzusammenschlüssen zu organisieren), sowie der Aufstand der schlesischen Weber 1844 gegen unmenschliche Ausbeutungspraktiken, dass eine neue Kraft zum gesellschaftlichen Akteur wurde: Die Arbeiterklasse.

Diese Entwicklungen spitzten sich im Laufe der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts weiter zu. Missernten führten vor allem zwischen 1845 und 1847 zu Hungersnöten. 1847 griff die in England ausgebrochene zyklische Wirtschaftskrise auf das europäische Festland über. Die entstandenen Widersprüche drängten zur Lösung. Und die hieß Revolution.

„Die Entwicklung der in den Monaten Januar und Fe­bruar 1848 aufbrechenden Europäischen Revolution nahm einen wellenartigen Verlauf. Kontinentale, nationale und regionale Dynamik flossen ineinander, forcierten den revolutionären Prozess, wie umgekehrt die Rückschläge in den Hauptentscheidungszentren auf die übrigen Regionen zurückwirkend. Bestimmend für den Gesamtzyklus der Revolutionen wurde der Ablauf der Ereignisse in Paris, Wien und Berlin; hier entschied sich in erster und letzter Instanz das Schicksal der Sturmjahre 1948/49.“ (Kossok, S. 301)

Bereits im Januar 1848 erhoben sich italienische Revolutionäre gegen die Herrschaft der österreichischen Habsburger im Norden und der spanischen Bourbonen im Süden. Nach Beginn der französischen Februarrevolution wurden auch die deutschen Länder Teil dieser Erhebungen gegen die ab 1815 nach dem Ende der Napoleonischen Kriege herrschenden Mächte der Restauration. In den deutschen Landen begann der Aufstand im Großherzogtum Baden. Er griff bald auf die übrigen Staaten des Deutschen Bundes über. Am 18. März 1848 erreichte die Revolution – nach Wien – Berlin, eines der Zentren der alten Ordnung. „Um die Unruhen abzufangen, hatte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. schon am 6. März die bisher verweigerte Periodizität des Vereinigten Landtages anerkannt und ihn für den 27. April 1848 einberufen. Das Zugeständnis kam – wie oft in der Geschichte der Revolutionen – zu spät. Am 18. März verkündete der König ein umfassendes Reformprogramm, einschließlich einer liberalen Verfassung, und trat die Flucht nach vorn an … zur selben Stunde jedoch schoss die Armee in die Reihen der vor dem Schloss versammelten Volksmenge. Nach vierzehnstündigem Kampf mussten die königlichen Elitetruppen weichen: 4 000 Barrikadenkämpfer hatten über 14 000 mit Artillerie bestückte Soldaten gesiegt: Heinrich Glasewald und Ernst Zinna, beide Schlossergesellen. taten sich als mutigste Streiter hervor. Von den 230 Opfern gehörten über drei Viertel den unteren Volksschichten an. Am folgenden Tag musste Friedrich-Wilhelm IV. … die Toten öffentlich ehren – die bis dahin tiefste Demütigung eines preußischen Monarchen. … Am 21. März zeigte sich der König mit den Farben Schwarz-Rot-Gold. Ungleich wichtiger war indes, dass zwei führende Repräsentanten der rheinischen Bourgeoisie, … Camphausen und … Hansemann, mit der Regierungsbildung beauftragt wurden (29. März), ihnen folgte am 25. Juni das ebenfalls großbürgerlich-liberale Ministerium Auerswald-Hansemann.“ (Kossok, S. 333). Die liberale Bourgeoisie sah sich am Ziel ihrer Wünsche. Von nun an vollzog sich in der revolutionären Bewegung in Preußen und den Ländern des Deutschen Bundes eine deutliche Differenzierung. Das liberale (Groß-)Bürgertum hielt die Revolution für beendet, das städtische Bürgertum, von radikalen Studenten und Intellektuellen gestützt, stellte weitergehende Forderungen. An ihrer (linken) Seite standen Arbeiter, deren entschlossenste Vertreter sich im Bund der Kommunisten organisierten. Vom gewachsenen Selbstbewusstsein der Arbeiter zeugte, dass sie sich zu organisieren begannen. So im „Kölner Arbeiterverein“ (April 1848, über 5 000 Mitglieder) und in der – auf fast alle deutschen Länder übergreifenden – „Arbeiterverbrüderung“ unter Stephan Born.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Die Lösung: Revolution", UZ vom 16. März 2018



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