In Bayern finden regelmäßige Palästina-Soli-Aktionen statt – trotz Hetze und Verbotsversuchen

Einschüchterung abgewehrt

Mittwoch, 11. Oktober: Bedingungslose Solidarität mit Israel ist Staatsräson, auch in Nürnberg. Seite an Seite steht der CSU-Oberbürgermeister neben dem DGB-Vorsitzenden auf der Israel-Kundgebung vor dem Gewerkschaftshaus und sie freuen sich über den frisch gewählten CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder, der als alter und neuer Koalitionspartner der „Freien Wähler“ ja über einige Expertise im Umgang mit Antisemitismus verfügt. Alle lauschen vor einem weiß-blauen Fahnenmeer Reden, die nur mit dem Begriff „fanatisch“ treffend zu beschreiben sind. Ein Mann mit Israelfahne und AfD-Käppi beklatscht wie 1.500 andere Anwesende die Forderung, Menschen in Gaza müssten „beseitigt“ werden. Jede Person, die nicht bedingungslos an der Seite Israels steht, wird als antisemitisch gebrandmarkt und, wie praktisch für die CSU und alle anderen Rechten, im Falle arabischer Herkunft sofort mit Abschiebung bedroht. Was auf dieser Kundgebung gelebt und gefordert wurde, war keine Trauer, es war der Wunsch nach dumpfer, unsanktionierter, widerspruchsloser Rache.

Parallel zu dieser öffentlichkeitswirksam inszenierten Veranstaltung war man auch in Nürnberg mit einem erschreckenden Eifer seitens des Ordnungsamts bemüht, kritische Kundgebungen aus der Öffentlichkeit fernzuhalten. Die „Nürnberger Nachrichten“ berichteten ausführlich über den Versuch einer Einwohnerin, der von der Polizei bescheinigt wurde „politisch unverdächtig“ zu sein, eine Kundgebung für „Frieden in Israel und Palästina“ anzumelden. Sie wurde von Polizei und Ordnungsamt so lange intensiv darüber „beraten“, was für ein „Personenklientel“ ihre Kundgebung anziehen würde und welche auch strafrechtlichen Folgen das für sie als Anmelderin haben könne, bis sie ihre Anmeldung schließlich zurückzog.

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage diskutierte die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) in Bayern Möglichkeiten, sich der Repression gegen palästinensische Kundgebungen entgegenzustellen und unterstützend zu wirken. Die Ideen und Pläne reichten von Hilfestellungen im Umgang mit Anmeldung und Repression über Präsenz bei stattfindenden Versammlungen bis zu der Bereitschaft, selbst Kundgebungen anzumelden und sich seitens der Ordnungsbehörden und der Polizei nicht schikanieren und einschüchtern zu lassen.

Die erste pro-palästinensische Kundgebung am 18. Oktober in Nürnberg fand spontan, ohne vorherige Anmeldung statt. Die anwesenden USK-Einheiten nahmen vor Ort, wohl auch in Ermangelung anders lautender direkter Befehle, eine Anmeldung zu einer spontanen Versammlung entgegen. Unter den Protestierenden gab es, bei aller Trauer, bei allem Schock über die israelische Militäroffensive vor allem den einen Wunsch, nicht länger nur aufgrund ihrer Biografien, ihrer Überzeugungen, ihrer Sicht auf die Geschehnisse pauschal verurteilt, kriminalisiert und vorverdächtigt zu werden. Mehrmals erschallte der Ruf: „Wir sind keine Antisemiten!“, mehrfach wurde dafür gesorgt, dass alle Reden nur auf Deutsch gehalten wurden, damit Passanten verstehen konnten, was gesagt wurde. In einer Zeit, in der israelische Offizielle von „menschlichen Tieren“ sprechen, wenn sie die Menschen im Gazastreifen meinen und die Forderung nach einem Waffenstillstand als „verabscheuungswürdig“ geißeln, sind Parolen wie: „Schützen wir jüdisches Leben – Ja!, schützen wir palästinensisches Leben – Ja!“ eine willkommene Abwechslung.

Greifbar war unter den Teilnehmenden vor allem eins: das völlige, fassungslose Unverständnis darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit ihnen grundlegende demokratische Rechte wie das auf Versammlungsfreiheit vorenthalten werden, schlicht weil sie in den Augen der Ordnungsbehörden der falschen Nationalität angehören.

Unter anderem die Tatsache, dass diese Kundgebung in Nürnberg stattfand, ohne dass antisemitische Äußerungen protokolliert werden konnten, beraubte in den Tagen darauf anderen Ordnungsbehörden und dem Münchner Verwaltungsgericht der Rechtfertigungsgrundlage für die bisherige pauschale Verbotspraxis. So musste auch eine durch die DKP München angemeldete und gemeinsam mit Bündnispartnern wie der jüdisch-palästinensischen Dialoggruppe und dem Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus durchgeführte Kundgebung am 25. Oktober genehmigt werden. Der Auflagenbescheid umfasste 28 (!) DIN-A4-Seiten, darunter seitenlange Gefahrenprognosen des Kreisverwaltungsreferats München und Wortprotokolle über Äußerungen des Anmelders auf früheren Kundgebungen mit Palästina-Bezug. Trotz dieser Einschüchterungsversuche kamen mehrere hundert Menschen auf dem Rotkreuzplatz zusammen und hinterfragten die offizielle Erzählung, wonach Krieg und Bomben Frieden und Sicherheit schaffen.

Zunehmend wird die bedingungslose Israel-Solidarität der Bundesregierung auch im öffentlichen Raum in Frage gestellt. Die wichtigste Aufgabe in den nächsten Tagen und Wochen bleibt es, nicht nur die Sichtbarkeit des Protestes gegen Aufrüstung, Imperialismus und Krieg zu erhöhen, sondern auch die Debatte in den Gewerkschafts- und Bündnisorganisationen zu führen. Dabei haben wir argumentativ die UNO, das Internationale Rote Kreuz und Millionen Menschen weltweit auf unserer Seite.


Dammbrüche
Auszug aus der Rede von Rechtsanwalt Mathes Breuer am 25. Oktober in München
(…) Noch am 9. Oktober fand eine erlaubte Demonstration von Palästinenserinnen und Palästinensern auf dem Marienplatz statt. Kurz darauf sagte die Versammlungsbehörde, man sehe keine rechtliche Möglichkeit, die Versammlungen zu verbieten. Am 12. Oktober kündigte Oberbürgermeister Dieter Reiter an, mit der zuständigen Referentin in der Versammlungsbehörde zu sprechen und Versammlungen verbieten zu lassen. Das Verbot geschah also auf Anweisung des SPD-Oberbürgermeisters (…).
Dementsprechend absurd begründet war auch das Verbot. So hieß es dort unter anderem: „Allein das Thema der Versammlung genügt in der derzeitigen Wahrnehmung zur Emotionalisierung der Menschen (…)“. Das Thema war übrigens: „Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina“.
„(…) die Fahnen, Pali-Tücher, Kleidung und Symbole sowie Allahu-Akbar-Rufe genügen darüber hinaus, um in der Wahrnehmung der überwiegenden Bevölkerung die Sympathisierung mit der Hamas bzw. Hisbollah und/oder ihren Verbrechen darzustellen. Auf den konkreten Inhalt der Meinungsäußerungen kommt es in der aktuellen Situation für den Großteil der Bevölkerung gar nicht an.“
Wenn eine Behörde nicht mit Fakten argumentiert, sondern mit dem Empfinden der Bevölkerung, für das vor allem Behörden ja immer schon ein gutes Gespür hatten, dann sollten wirklich alle Demokraten aufhorchen. Für die Nazis war das „gesunde Volksempfinden“ ein zentraler Rechtsbegriff, um ihre Willkürherrschaft zu rechtfertigen.
Das Verwaltungsgericht München hat diese absurde Begründung noch gehalten, erst der Verwaltungsgerichtshof, das höchste Verwaltungsgericht in Bayern, hat das Verbot mit deutlichen Worten gekippt. (…)
Der Fall zeigt, es passieren gerade Dammbrüche, was die Versammlungsfreiheit angeht. (…) Der Fall zeigt aber auch, der Rechtsruck im Staat lässt sich nicht auf Befehl und Kommando durchsetzen. Es gibt doch noch einige, die die Regeln der bürgerlichen Demokratie aufrechterhalten wollen. Und der Fall zeigt, dass es sich lohnt zu kämpfen.


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"Einschüchterung abgewehrt", UZ vom 3. November 2023



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