Protest aus Afrika gegen CO2-Grenzausgleich der EU

Erbe der Kolonialherrschaft

Der neue CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) ist als Maßnahme zum Schutz der Industrie innerhalb der EU konzipiert. Anlass ist die Tatsache, dass energieintensive Unternehmen in der EU für ihren CO2-Ausstoß Emissionszertifikate zukaufen müssen. Deren Preis hatte Mitte des vergangenen Jahrzehnts bei rund fünf Euro pro Tonne CO2 gelegen, ist aber zuletzt in die Höhe geschnellt und belief sich im vergangenen Jahr bereits auf über 80 Euro pro Tonne. Das verschafft Firmen aus Nicht-EU-Staaten, die für den CO2-Ausstoß nicht zahlen müssen, einen Wettbewerbsvorteil. Um ihnen diesen zu nehmen, sieht der CO2-Grenz­ausgleich spezielle Abgaben bei der Einfuhr energieintensiver Produkte in die EU vor. Zum 1. Oktober ist eine Übergangsphase eingeleitet worden, in der zunächst die Berechnung des CO2-Ausstoßes bei importierten Waren geprobt werden soll. Ab 2026 sollen dann Abgaben erhoben werden. Vorläufig ist die Maßnahme im Kern auf einzelne Grundstoffe beschränkt, zum Beispiel Eisen und Stahl, Aluminium und Düngemittel. Einbezogen sind aber auch weiterverarbeitete Produkte, etwa Schrauben. Außerdem ist eine sukzessive Ausweitung der Produktgruppen, auf die der CBAM angewandt werden soll, bereits geplant.

Der CBAM stößt auf Unmut in der deutschen Industrie, die sich über exzessive Bürokratie und kaum erfüllbare Anforderungen beklagt; so müssen für jeden Import, der einen Wert von 150 Euro übersteigt, bei den Lieferanten genaue Berechnungen zur CO2-Bilanz eingeholt werden. Besonders aber droht der CBAM Konflikte mit diversen großen Nicht-EU-Staaten auszulösen, die ihre Industrie durch den CBAM schikaniert beziehungsweise tendenziell benachteiligt sehen. Um dem entgegenzuwirken, hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Gründung eines „Klimaclubs“ durchgesetzt, auf den sich die G7 im vergangenen Jahr geeinigt haben; in ihn sollen vor allem westliche Staaten wie die USA eingebunden werden, um ernste Konflikte mit ihnen zu vermeiden. Inzwischen haben sich zwar einige Staaten zur Teilnahme bereit erklärt, so etwa – neben unlängst der Schweiz – Australien, Südkorea und Argentinien. Allerdings bleiben einflussreiche Staaten außen vor – nicht nur China, sondern etwa auch Indien und Brasilien. Zwar sei der CBAM bislang nicht mehr als eine „leere Hülle“, heißt es in Wirtschaftskreisen. Doch drohe massiver Streit nicht nur mit Peking, sondern auch mit Brasília und Neu-Delhi: „Der globale Süden will sich nicht mehr vom Westen belehren lassen – und bündelt seine Kräfte, um eigene Interessen durchzusetzen“.

Besonders hart trifft der CBAM die Staaten Afrikas. Weil viele von ihnen vom Export von Rohstoffen wie Eisen sowie von Produkten wie Dünger abhängig sind, steht für sie sehr viel auf dem Spiel. Der CBAM zwingt sie, kostspielige Kapazitäten aufzubauen, um den mit ihren Exportgütern verbundenen CO2-Ausstoß zu berechnen. „Das kann den Entwicklungsländern, die schon jetzt einigen der höchsten Handelsbarrieren weltweit gegenüberstehen, Gebühren technischer sowie verwaltungstechnischer Art aufbürden“, warnt beispielsweise Rim Berahab vom Research for Policy Center for the New South. In Verbindung mit den ab 2026 zu zahlenden Abgaben auf Güter, die mit einem größeren CO2-Verbrauch hergestellt wurden, sei mit Verlusten bei den Ausfuhren aus Afrika nach Europa zu rechnen. Das wiegt schwer. Die EU nimmt etwa 12 Prozent der afrikanischen Zement-, 16 Prozent der Eisen- und Stahl- sowie 26 Prozent der Düngemittelexporte ab. Laut Berechnungen der African Climate Foundation könnten diese Lieferungen, bedingt durch den CBAM, bis 2030 heftig einbrechen – um 8,9 Prozent bei den Düngemitteln, 18,8 Prozent bei Eisen und Stahl und 19,9 Prozent bei Zement. Die Verluste dürften sich demnach auf bis zu 24 Milliarden US-Dollar belaufen – rund 0,91 Prozent der gesamtafrikanischen Wirtschaftsleistung.

Einigen afrikanischen Staaten drohen dabei besonders herbe Verluste. Simbabwe etwa liefert 87 Prozent seiner Eisen- und Stahlexporte, Mosambik 74 Prozent seiner Aluminiumausfuhr in die EU. Mit dem Aluminiumexport in die EU erzielt Mosambik etwa 25 Prozent seiner gesamten Exporterlöse, die sich auf rund 1,4 Milliarden US-Dollar pro Jahr belaufen. Der CBAM gefährdet damit bis zu 2,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Mosambiks. Für das Land, das heute eines der ärmsten der Welt ist und auf der Rangliste des Human Development Index (HDI) auf Platz 185 von 191 steht, ist das fatal. Guinea, Platz 182 auf der HDI-Rangliste, entwickelt zur Zeit in der Region Simandou im Südosten des Landes eine der größten Eisenerzminen der Welt. Der CBAM könnte für das Projekt, auf das Guinea große Hoffnungen setzt, vernichtende Folgen haben. Das gilt auch für die Förderung von Bauxit in dem westafrikanischen Land, in dem rund ein Viertel der weltweiten Gesamtmenge aus dem Boden geholt wird. Der Rohstoff ist der Kern der Aluminiumproduktion. Bauxit ist nicht von CBAM-Abgaben betroffen, Aluminium ist es. Die Aluminiumproduktion lohnt sich daher in Guinea nicht mehr. Mohamed Lamine Sidibé, ein Experte aus Guinea, urteilt: „Die EU verdammt uns auf ewig dazu, einfache Rohstoffexporteure zu bleiben.“

Bereits im Juli hatte sich Südafrikas Minister für Handel, Industrie und Wettbewerb, Ebrahim Patel, in einem Schreiben an die EU gewandt und gegen den CBAM protestiert. Südafrika, dessen Exporte zu rund der Hälfte aus Rohstoffen bestehen, droht laut eigenen Berechnungen der Verlust von bis zu 1,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Der CBAM „überträgt die Kosten des Klimawandels auf die sich entwickelnden Volkswirtschaften und lässt unsere Länder und unsere Industrien eine ungerechte Bürde tragen“, hieß es in dem Schreiben. „Unsere starke Abhängigkeit von Rohstoffexporten, aus denen dann andere Länder Wert schöpfen, ist ein historisches Erbe, das uns aufgezwungen wurde“, hieß es weiter mit Bezug auf die einstige europäische Kolonialherrschaft: „Anstatt uns zu ermutigen, ehrgeizigere Klimapolitiken zu übernehmen“, riskiere die EU mit der Einführung des CBAM, „unsere Fähigkeit zu beeinträchtigen, unsere Klimaziele zu erreichen“. Minister Patel fuhr fort: „Sie wird die Armut und die Arbeitslosigkeit vermehren.“

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"Erbe der Kolonialherrschaft", UZ vom 20. Oktober 2023



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