Gesundheitsrisiko Krankenhausbetreiber

Lars Mörking im Gespräch mit Jan von Hagen

UZ: Am 12. September hat ver.di einen Aktionstag zur Händedesinfektion durchgeführt. Worum ging es dabei?

Jan von Hagen ist ver.di-Sekretär, zuständig für den Klinikbereich in NRW

Jan von Hagen ist ver.di-Sekretär, zuständig für den Klinikbereich in NRW

Jan von Hagen: Der Aktionstag war Bestandteil unseres Kampfes für eine gesetzliche Personalbemessung in den Krankenhäusern. Die Händedesinfektion ist eine unverzichtbare und genau geregelte Hygienemaßnahme in der Patientenversorgung, die vor und nach jedem Patientenkontakt 30 Sekunden lang durchgeführt werden muss. Das summiert sich in einer 8-Stundenschicht für eine Pflegekraft auf bis zu zwei Stunden.

Das Dilemma ist, dass die Pflegekräfte dafür nicht genug Zeit haben, oder wenn sie sich diese Zeit nehmen, andere Tätigkeiten auf der Strecke bleiben. Und oftmals auch ihre Pause oder der pünktliche Feierabend. Deshalb wollten wir an diesem Tag am Beispiel der Händedesinfektion deutlich machen, dass die Politik in der Verantwortung ist, ausreichend Personal im Krankenhaus per Gesetz festzulegen, damit dieses Dilemma aufhört.

UZ: Welche Bilanz zieht ihr aus der Aktion? Wie war die Beteiligung?

Jan von Hagen: Bundesweit haben sich mehrere hundert Krankenhäuser beteiligt, in NRW waren es ca. 30, die mit verschiedenen Aktionsformen unter dem Motto „Händedesinfektion weglassen? Geht gar nicht! Aber was ist, wenn die Zeit dafür fehlt?“ auf die Personalnot in den Krankenhäusern aufmerksam gemacht haben.

Viele ver.di-Aktive haben am 12. September Stationsbegehungen gemacht und mit den Kolleginnen und Kollegen über den Zusammenhang von Hygiene und Personalnot diskutiert. Aber nur in sehr wenigen Häusern hat es geklappt, die Arbeitgeber mit dieser Aktion wirklich unter Druck zu setzen.

Die Idee war nämlich, in ca. 100 Krankenhäusern über Teams, die vorher ein Team-Versprechen abgeben, sich verbindlich zu beteiligen, den Arbeitgeber zu zwingen, mehr Personal für die betreffenden Bereiche zur Verfügung zu stellen. Wenige Arbeitgeber haben so reagiert, viele haben eher Druck ausgeübt auf Beschäftigte und ver.di-Vertrauensleute, sich bloß nicht zu beteiligen, da es den Ruf des eigenen Hauses schädige, was auf vielen Stationen zu Verunsicherung geführt hat und auch dazu, dass Stationen noch kurzfristig abgesprungen sind.

Viel fataler ist aber eine andere Feststellung, die wir an diesem Tag machen konnten: Auf vielen Stationen haben die Teams selbst entschieden, die Aktion im Laufe der Schicht abzubrechen, da sie mit ihrer Arbeit derart in Verzug gekommen sind, dass andere für die Patientinnen noch notwendigere Tätigkeiten auf der Strecke geblieben wären. Da, wo sie es über die ganze Schicht konsequent durchgezogen haben, sind die Beschäftigten bis zu zwei Stunden über das Schichtende hinaus im Dienst geblieben und haben sich Überstunden aufschreiben müssen und Überlastungsanzeigen an den Arbeitgeber gestellt. Und das für eine Tätigkeit, die jeden Tag unverhandelbar ist.

Insofern war das Thema das richtige, wir haben aber unterschätzt, wieviel Bewusstsein und Solidarität in den Teams vorhanden sein muss, damit Druckszenarien der Arbeitgeber und eigene Bedenken keine Wirkung entfalten.

UZ: War denn nicht von vornherein klar, dass die Arbeitgeber auf stur schalten? Schließlich hätten sie ja längst etwas gegen den Personalmangel machen können…

Jan von Hagen: Wir waren gespannt, wie die Arbeitgeber reagieren, da sie beim Thema Hygiene hochsensibel sind.

Die Arbeitgeber haben sich überwiegend in eine Abwehrhaltung begeben bis hin zu Aussagen wie „Diese Aktion setzt an der falschen Stelle an, wir haben keine Probleme bei der Händedesinfektion, weil dafür die Zeit bzw. das Personal fehlt, sondern weil den Beschäftigten der Stellenwert der Händedesinfektion nicht ausreichend klar ist und sie falsche Entscheidungen treffen.“ Eine absolute Unverschämtheit, wenn man überlegt, dass die Krankenhäuser nur deshalb noch so gut funktionieren, weil die Beschäftigten es jeden Tag schaffen, sehr verantwortungsvoll die Patientinnen zu versorgen. Andere haben versucht, die Aktion für sich zu vereinnahmen und gemeinsame Aktionen mit ver.di und den Betriebsräten oder Mitarbeitervertretungen vorgeschlagen, die zum Teil auch stattgefunden haben.

Das wichtigste war aber nicht, ob die Aktionen an dem Tag überall so funktionieren, wie es geplant war. Das wichtigste und unser Ziel war, mit zehntausenden Beschäftigten am Thema Hygiene noch einmal zugespitzt über die Personalsituation und den Zusammenhang von Personalmenge und Arbeitsanforderungen ins Gespräch zu kommen. Und dieser Teil hat funktioniert und ist eine Basis für unsere nächsten Aktionen und die sicher noch langwierige Auseinandersetzung mit der Bundespolitik zur gesetzlichen Personalbemessung.

Denn dass die Arbeitgeber auf stur schalten, hat natürlich noch einen anderen Grund: Im Rahmen der jetzigen Krankenhausfinanzierung ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen ist für den einzelnen Arbeitgeber fast nicht möglich. Und bei den privaten Krankenhäusern ist der Widerstand natürlich umso größer, da jede gesetzliche Regelung oder auch nur auf Häuserebene geregelte Personalschlüssel die Gewinne der Konzerne einschränken.

UZ: Wie wollt ihr weiter Druck in den Krankenhäusern aufbauen? So wie du es schilderst, zeigen die Beschäftigten tagtäglich ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl für die Patientinnen und Patienten, während ihr es auf der anderen Seite mit Arbeitgebern zu tun habt, die die teils tödlichen Folgen des Personalmangels in Kauf nehmen. Das klingt nach keiner günstigen Ausgangslage für Verhandlungen oder gar einen Arbeitskampf.

Jan von Hagen: Wir werden weiter Druck auf die Politik und die Arbeitgeber aufbauen müssen, sonst werden wir nicht zu einer Lösung dieses im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlichen Problems kommen. Dafür brauchen wir neben den Auseinandersetzungen in den Betrieben auch noch mehr Druck aus der Bevölkerung.

Das Thema ist ja nicht nur eines der Belegschaften, jede Bürgerin und jeder Bürger ist potentiell Patientin und in der jetzigen Personalausstattung auch real gefährdet. Es sind ja keine abstrakten und auch keine kleinen Zahlen, wenn selbst die Verbände der Krankenhaushygiene von z. B. jährlich 10 000 vermeidbaren Hygienetoten durch mehr Personal alleine in der Reinigung ausgehen.

Eine gute Möglichkeit ist hier die Gründung von Bündnissen, die die Auseinandersetzung der Belegschaft unterstützen und in die Viertel und die Politik vor Ort tragen, und neben aktivierbaren NGOs auch Patientinnen-Organisationen und Angehörigen-Verbände mit einbinden. Gerade hat sich zum Beispiel das „Düsseldorfer Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“ gegründet und auch schon aktiv mit für den Streik am Dienstag dieser Woche an der Uniklinik Düsseldorf mobilisiert. Das ist ein tolles Signal und eine reale Unterstützung, wenn die Beschäftigten merken, dass sie nicht mehr alleine kämpfen.

Und mit den Beschäftigten werden wir die Auseinandersetzung weiter intensivieren. Nach dem Aktionstag „Pause“ am 19. September, bei dem Beschäftigte deutlich gemacht haben, dass nur das reine in Anspruch nehmen der gesetzlichen Pause Krankenhäuser vor eine fast unlösbare Aufgabe stellt, werden wir im Oktober in vielen Kliniken den Druck erhöhen und wiederum auf der Basis von Team-Versprechen organisieren, dass die Beschäftigten nicht mehr aus dem Frei in den Dienst einspringen. Das Thema der sicheren und planbaren Freizeit ist den Beschäftigten im Schichtdienst sehr wichtig. Hier werden es die Arbeitgeber schwer haben, die Aktionsform zu unterlaufen.

Des Weiteren hat ver.di mittlerweile 16 Krankenhäuser zu Tarifverhandlungen für einen Tarifvertrag Entlastung aufgefordert, in ca. 10 Kliniken haben am 19. September die ersten Warnstreiks stattgefunden. Völlig unabhängig von der Verantwortung der Bundespolitik für ausreichend Personal in den Krankenhäusern haben die einzelnen Arbeitgeber nämlich auch eine zwingende Verantwortung: Sie sind zuständig für den Gesundheitsschutz ihrer Beschäftigten und diesen wollen wir über Personalmindestzahlen, Belastungsausgleiche und Sicherstellung der Ausbildung tarifvertraglich regeln.

Nach dem erkämpften Tarifvertrag an der Charité ist es ein gutes Zeichen, dass mehr und mehr Beschäftigte auf diesem Weg Druck auf ihre Arbeitgeber ausüben und Entlastungsregelungen im Tarifvertrag verlangen. Ähnlich wie bei der Charité erwarten wir hier natürlich harte Auseinandersetzungen, für die wir so viel Unterstützung wie möglich organisieren müssen.

UZ: Ist eine tarifliche Regelung der Personalbemessung überhaupt sinnvoll? Bräuchte es nicht eher eine gesetzliche Regelung?

Jan von Hagen: Wir fordern in den Krankenhäusern, die wir zu Tarifverhandlungen aufgefordert haben, keine Personalbemessung, also kein System, was eine Berechnung anhand von medizinischen und pflegerischen Versorgungsbedarfen von Patientinnen vornimmt und daraus errechnet, wieviel Personal der Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss. Das kann kein Tarifvertrag leisten und ist klar Aufgabe des Gesetzgebers – und deshalb unsere Forderung an die Bundespolitik.

In den Tarifverträgen fordern wir die Festschreibung von Personaluntergrenzen, die die Willkür und den Wettbewerb der Arbeitgeber, mit wie wenig Personal man noch mehr Patientinnen versorgen kann ohne dauernd verklagt zu werden, nach unten verbindlich begrenzen und damit die Beschäftigten vor dauernder Überlastung schützen.

Und wir fordern, dass die Ausbildung wieder sichergestellt wird durch Praxisanleiterinnen, die ausreichend Zeit für die Azubis haben. Es muss Schluss damit sein, dass Azubis im Krankenhaus nur noch billige Arbeitskraft und tägliche Verfügungsmasse im „Löcher stopfen“ der von den Arbeitgebern runtergewirtschafteten Dienstpläne sind.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Gesundheitsrisiko Krankenhausbetreiber", UZ vom 22. September 2017



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