Zum Urteil im Berliner „Tiergarten-Mord“

Glückwunsch, Annalena

Am 15. Dezember stand die Geburtstags­torte mit 41 Kerzen für die neue Außenministerin bereit. Sie blieb stehen. Annalena Baerbock hatte Wichtigeres zu tun, nämlich den russischen Botschafter einzubestellen und zwei seiner Botschaftsangehörigen kurzerhand zu Unpersonen zu erklären. Kurz zuvor hatte ihr der Vorsitzende Richter des Berliner Kriminalgerichts, Olaf Arnoldi, im Prozess um den sogenannten „Tiergarten-Mord“ ihr schönstes Geburtagsgeschenk gemacht. Die „Russische Föderation ist Hauptschuldiger der Tat“. Sie habe den Mord beauftragt und das sei „nichts anderes als Staatsterrorismus“.

Den Begriff des Staatsterrorismus kennt das deutsche Strafrecht nicht. Nicht wichtig. Vieles in diesem Verfahren hätte sich auch der fantasiebegabteste Strafrechtler nicht ausdenken können. Kaum waren am 23. August 2019 die tödlichen Schüsse auf den von Russland per Haftbefehl gesuchten tschetschenischen Terroristen Selimchan Changoschwili gefallen, stellte der deutsche Verfassungsschutz die steile These auf, wer Haftbefehle auf den Weg bringe, erteile auch Mordaufträge. Die Indizien beschaffte nicht die Polizei, sondern die von westlichen Quellen finanzierte „Rechercheplattform“ Bellingcat. Sie wusste bereits eine Woche nach den Schüssen zu melden, dass der russische Geheimdienst FSB hinter allem stecke. Die Hobbyermittler griffen dazu auf ominöse „Daten aus ukrainischen Quellen“ zurück und verglichen hochinvestigativ Urlaubsfotos und Passbilder mit der für jeden Freizeitdetektiv zugänglichen Bilderkennungssoftware Azure. Eigene Zielsetzung: Wenn das „Gerichtsurteil die Anklage der Staatsanwaltschaft bestätigt, wird eine neue Reihe diplomatischer Sanktionen aus Deutschland erwartet“.

Bellingcat hat gute Arbeit geleistet. Deutsche Ermittler und auch die Strafkammer wurden übertölpelt. Es ging von Anfang an nicht um die Aufklärung eines Mordes in einer Berliner Parkanlage, sondern darum, Russland zu kriminalisieren. Da spielte es selbstredend auch keine Rolle mehr, dass Moskau den Angeklagten schon lange zur Interpolfahndung ausgeschrieben hatte. Ein lästiges Detail.

Die neue Regierung hat sich eingeschossen. Der Feind steht im Osten. Die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat die Marschrichtung vorgegeben: „Wir müssen Putin und sein Umfeld ins Visier nehmen.“ Vizekanzler Robert Habeck legte nach: Bei Sanktionen gegen Russland „kann es keine Denkverbote geben“. Das Urteil im Prozess um den „Tiergarten-Mord“ rundet den imperialen Dreiklang der Woche ab.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Glückwunsch, Annalena", UZ vom 24. Dezember 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit